Eine Klasse für sich
recht freundlich verlaufen. »Na, du machst ja heute Schlagzeilen.«
Sie lachte. »Eine Idee von meiner Mutter. Sie hat mich angestiftet. Ich dachte, sie irrt sich, und die würden mich bestimmt reinlassen. Aber anscheinend doch nicht.«
»Komm schon.« Minna zog mich am Arm, sie wollte schleunigst Abstand zur Presse gewinnen. Das war kein aristokratisches Getue; Publicity ist diesen Kreisen gründlich verhasst.
Aber ich war neugierig geworden. Joannas Erklärung leuchtete mir nicht ein. Wenn ihre Mutter überzeugt war, Joanna würde der Zutritt verweigert, wieso animierte sie ihre Tochter dann zu einem solchen Blödsinn? »Warum wollte deine Mutter, dass du aufgehalten wirst? Ist sie da?«
Joanna nickte zu einer kleinen Gruppe hinüber, die schon drinnen, hinter der Absperrung stand. Ich erkannte die nervöse kleine Frau wieder, die ich schon beim Queen Charlotte’s Ball gesehen hatte. An der Brust ihres fuchsienroten Kostüms blitzte eine riesige Brosche. Zappelnd vor Aufregung ließ sie ihre Tochter nicht aus den Augen, stieß ihre Begleiter an, kaute an der Unterlippe, machte aber seltsamerweise keine Anstalten, sich einzumischen. »Worauf wartet sie denn?«, fragte ich.
Joanna seufzte. »Auf dasselbe, worauf alle warten. Darauf.« Und vor meinem erstaunten Blick griff sie unter ihre Jacke und öffnete den Hosenbund. Mit einer anmutigen Bewegung stieg sie erst mit dem einen langen, bestrumpften, wohlgeformten Bein aus der Hose, dann mit dem anderen, bis sie in einem weißen, äußerst knappen Minirock dastand, die Hose wie eine Lache aus Spitze zu Füßen. Wie vorauszusehen kannte die Raserei der Fotografen nun keine Grenzen mehr. Man hätte denken können, sie wären Zeugen des letzten Auftritts von Marilyn Monroe geworden, der Entdeckung von Hitlers Nachkommen, der Wiederkehr von Jesus Christus, einen solchen Wirbel
löste dieser Coup de théâtre aus. »Jetzt kann ich ja wohl rein«, sagte sie leise zu dem gaffenden Torhüter, dem es nicht gelang, Desinteresse zu heucheln.
»Sie können«, sagte er und nickte sie durch.
Ich war in Hörweite, als Joanna auf ihre Eltern zusteuerte und sagte: »Also, ich bin mir schon ganz schön albern vorgekommen.«
»Wart’s ab. Das steht heute in allen Abendzeitungen, von den morgigen Ausgaben ganz zu schweigen.« Mrs. Langley stieß ihre Worte scharf und zwitschernd hervor wie ein hungriger Vogel.
»Ich fand es verdammt peinlich«, sagte ein beleibter Mann mit breitem nordenglischem Akzent.
»Weil du keine Ahnung hast!« Mrs. Langley behandelte ihren Mann, Joannas Vater, immer halb ehrerbietig, halb verächtlich, ein seltsam ambivalentes Verhalten. Sie musste ihm stets zeigen, wo sein Platz war, aber sie brauchte ihn auch.
»Ganz deiner Meinung, Papa. Jetzt komm und spendier mir ein Glas Champagner.« Joanna hakte sich bei ihrem Vater ein. Sie zog ihn ihrer Mutter vor, woraus sie kein Geheimnis machte; aber weder Vater noch Tochter brachten die Kraft auf, sich den Forderungen der Mutter zu widersetzen. Eine unselige Konstellation.
Wir sahen sie abziehen. »Möchtest du etwas trinken?«, fragte ich Minna.
Sie schüttelte den Kopf. »Noch nicht. Nicht mit denen.«
Vielleicht hatte Joanna diese Worte noch mitbekommen, denn sie drehte sich um und rief uns zu: »Kommt doch zu unserer Loge hoch, zum Tee. Nummer fünf drei eins. Gegen vier, dann schauen wir uns zusammen das nächste Rennen an.« Ich winkte als Antwort, dann waren sie fort.
»Wir sind um vier mit meinem Vater im White’s verabredet«, sagte Minna.
»Mit ein bisschen gutem Willen schaffen wir sicher beides.« Wir ließen uns mit der Menge treiben, die Stufen hinauf in den langen, an eine Bedürfnisanstalt erinnernden Tunnel unter der Tribüne. Das scheußliche Ungetüm aus den Sechzigerjahren wird heute, nach seinem Abriss, sehr vermisst, obwohl ein unendlich viel besserer Bau an
seine Stelle getreten ist. So gelangten wir zur Rückseite, hinaus auf die Rasenflächen. Da sah ich Damian an einem Pfeiler lehnen und das Rennprogramm studieren, einen Arm lässig um die Taille des Mädchens neben sich geschlungen. In seinem schwarzen Cut war er wie ein Aristokrat gekleidet, und wenn seine Kleidung von den anderen abstach, dann nur, weil sie aussah wie maßgeschneidert und nicht wie bei den meisten von uns wie ausrangiert, herausgezerrt aus einem Dachbodenschrank, geerbt von einem vergessenen Onkel, aber, wie uns unsere Mütter völlig ironiefrei versicherten, absolut gesellschaftstauglich, wenn man die
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