Eine Klasse für sich
»Ich wollte nur sagen, Lady Claremont wäre mit dir garantiert besser gefahren als mit Andrew.« Wie üblich erwähnte er mit keinem Wort, welche Rolle er selbst bei der ganzen Sache gespielt hatte.
»Oder mit dir. Oder sonst wem.«
»Nein. Nicht mit mir«, erklärte er kategorisch.
Ich konnte mich von dem Thema noch nicht ganz lösen. Die alte Wunde war wieder aufgebrochen und schmerzte, als wäre sie frisch. »Warum hat sie ihn geheiratet? Wie alt war sie? Neunzehn? Und noch nicht einmal schwanger. Die Tochter kam zehn Monate später, war Andrew wie aus dem Gesicht geschnitten, alles moralisch einwandfrei. Ich kapier’s einfach nicht.«
Er nickte. »Das war eine andere Welt. Mit anderen Regeln.«
»Wie involviert warst du eigentlich? Mit Serena?« Jedes meiner Worte war ein Peitschenhieb, der mir einen roten Striemen auf den Rücken brannte.
Er gluckste. »Köstlich kurios, wie du dich ausdrückst. Du klingst wie der Frauenfunk vor dreißig Jahren. In welcher Hinsicht involviert ?«
»Das weißt du ganz genau.«
Er schwieg einen Moment. Dann zuckte er mit den Achseln. »Ich war verrückt nach ihr.«
Hatte ich das gewusst? Schwer zu sagen nach allem, was passiert war. Aus seinem Mund war es immer noch ein Schock, wie der Tod eines engen Freunds nach langer, unheilbarer Krankheit. Ich nippte noch einmal an dem Giftbecher. »Wer hat Schluss gemacht?«
Ich merkte, dass ich ihm langsam auf die Nerven ging. Wieder war unsere falsche Freundlichkeit aufgebraucht und wir stießen zu
unseren wahren Gefühlen vor. »Ich wollte nicht mein Leben lang bevormundet werden.« Ich sah, dass er einen Augenblick dorthin zurückgekehrt war, von wo ich mich nie hatte losreißen können. »Ich erinnere mich«, fuhr er dann fort, »als ich einmal auf Gresham war…«
» Du warst auf Gresham?« Ich konnte es nicht fassen. Was hatte ich die ganze Zeit gemacht? In einer Kiste im Keller gepennt? Warum hatte ich nichts mitbekommen?
»Das weißt du doch. Auf dem Ball.« Er hatte recht. Das wusste ich tatsächlich. »Sie hat mich in ihrem Auto mitgenommen. Wir haben uns in der Wohnung der Greshams getroffen. Wo war die gleich wieder? Irgendwo in Belgravia?«
»Am Chester Square. Und es war keine Wohnung, sondern ein Haus.«
Er sah mich an, wusste genau, warum ich mich an sämtliche Details erinnerte. »Wir hatten die Koffer eingeladen, und als wir losfuhren, sagte Serena …« Er stockte, seufzte tief und saß wieder in dem schnittigen roten Flitzer, den ich einst so gut gekannt hatte. »Sie sagte: ›Also, das muss sehr sorgfältig inszeniert werden.‹ Dann begann sie aufzulisten, was ich bei unserer Ankunft tun und lassen musste, wie ich ihre Mutter begrüßen sollte und wie nicht, wie ich mit den Fragen ihres Vaters umzugehen hätte, was ich zu ihren Geschwistern sagen sollte. Und so weiter und so fort. Ich hörte zu und dachte, nein, das ist nichts für mich. Ich will mich nicht in eine Situation begeben, wo ich eine Last bin, wo ich überwacht werden muss, damit meine Gastgeber ihre Einladung nicht bereuen, wo ich einen Benimmkurs machen muss, bevor ich aus dem Auto steigen darf, wo ich nicht mit offenen Armen empfangen werde.« Atemlos brach er ab und rang nach Luft.
»Das verstehe ich«, sagte ich. Und meinte es auch so.
Er fasste mich scharf ins Auge, als argwöhnte er, dass ich innerlich über sein Geständnis jubelte. »Wenn ich ehrlich bin, erkannte ich damals, dass es nicht funktionieren würde. Nicht auf die Dauer. Nur wollte ich mich dieser Erkenntnis noch nicht stellen.«
»Hast du ihr das gesagt?«
Er hatte sich wieder erholt, aber die Frage schien ihm unangenehm. »Damals noch nicht. Erst später.«
»Aber dieser Moment war der Anfang vom Ende?« Was wollte ich bloß von ihm?
»Ich weiß nicht. Ich kann mich nicht erinnern. Aber mir wurde eines klar: Wenn ich jemals heiraten würde, dann in eine Familie, die den Balkon beflaggen, Raketen und Böller abschießen, eine Anzeige in die Times setzen würde, anstatt die Augen zu verdrehen und eisig zu schweigen, weil ich ihnen nicht passe. Du hast doch gesehen, was dieser Typ durchmachen musste, der die jüngste Schwester geheiratet hat. Jahrelang war er für die Greshams eine Unperson.«
»Hat denn Suzannes Familie den Balkon beflaggt?« Das kam ziemlich unfreundlich heraus, aber ich war so eifersüchtig, dass ich ihn am liebsten umgebracht hätte. Ich fand, er war viel zu leicht davongekommen.
Sein Lächeln wurde bitter. »Leider hattet ihr mich verdorben.
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