Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eine Klasse für sich

Eine Klasse für sich

Titel: Eine Klasse für sich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Fellowes
Vom Netzwerk:
muss wohl ein betroffenes Gesicht gemacht haben. Er schüttelte den Kopf. »Tun wir nicht so, als wären wir schockiert. Das Wunder sind doch die vierzehn gemeinsamen Jahre.«
    »Vermutlich. Wie hieß ihr Mann gleich wieder?«
    »Kieran de Yong. Über den gibt es massenhaft Einträge.«
    »Kieran de Yong.« Dieser Name war mir schon ewig nicht mehr
in den Sinn gekommen, aber er brachte mich immer noch zum Grinsen.
    Damian ebenfalls. »Ich habe ihn ab und zu in der City gesehen, aber er hat mich immer geflissentlich ignoriert. Und von Joanna habe ich seit der Trennung weder persönlich noch durch die Presse etwas erfahren.« Er sann kurz nach. »Wie, glaubst du, hieß er in Wirklichkeit ?«
    »Kieran de Yong jedenfalls nicht.«
    Er lachte. »Kieran vielleicht schon. Aber bei ›de Yong‹ habe ich meine Zweifel.«
    Nun versuchte auch ich mich an die Schlagzeilen und den kuriosen jungen Mann zu erinnern. »Was war er noch? Friseur? Mode-designer? Oder hatte er eine Modelagentur? Jedenfalls war es irgendwas Zeitgeistiges.«
    »Du wirst dich wundern. Den meisten Leute beschert die Zukunft weniger, als sie erwartet haben, aber manche bekommen eine ganze Menge mehr. Wir haben eine Adresse von ihm. Die müsstest du erhalten haben.«
    Ich nickte. »Meinst du, er weiß, wo sie zu finden ist – wo sie sich doch getrennt haben?«
    »Ganz bestimmt. Die beiden haben einen Sohn.« Er machte eine Pause. »Oder ich habe einen. Jedenfalls würde ich bei Kieran anfangen, weil es keine Alternative gibt.«
    Ich war schon am Gehen, da musste ich unbedingt noch eine Frage loswerden. »Bist du wirklich Katholik?«
    Er lachte. Vermutlich fand er die Formulierung lustig. »Wie meinst du das? Ich wurde als Kind katholisch getauft. Hast du das nicht gewusst?«
    Ich schüttelte den Kopf. »Dann bist du also vom Glauben abgefallen? «
    »Ich fürchte, ja.«
    Diese Antwort machte mich stutzig. »Wieso fürchtest du? Würdest du denn gern glauben?«
    Damian sah mich gönnerhaft an, als wäre ich ein kleines Kind. »Natürlich«, sagte er. »Ich liege im Sterben.«

    Der Wagen wartete geduldig vor der Tür, aber ich wusste, dass alle zwanzig Minuten ein Zug fuhr, und gönnte es mir daher mit Erlaubnis des Chauffeurs, eine Weile über das Festgelände zu schlendern. Ich dachte über Damians unerwartete Äußerung nach, während ich die Tische voller alter, unlesbarer Bücher betrachtete, das Sammelsurium von Lampen aus den schlimmsten Stilepochen, die mit viel Sorgfalt und Liebe hausgemachten Kuchen und Marmeladen, die wohl bald von der Lebensmittelkontrolle auf den Index gesetzt werden würden, die Puppen, denen ihre Stimme, die Puzzles, denen »nur ein einziges Teil« fehlte, und ich empfand die Redlichkeit, die all das ausstrahlte, als ausgesprochen tröstlich. In diese ulkige, urenglische Wohltätigkeitsveranstaltung war viel Herzensgüte eingeflossen; diese Leute hatten sich für etwas angestrengt, was ich einmal als banal abgetan hätte, doch ihre Mühe war an mich nicht verschwendet. Im Gegenteil, sie rührte mich fast zu Tränen.

    Aus dem großen Abstand lässt es sich nicht mit Sicherheit sagen, aber ich glaube, dass Ascot erst nach dem Queen Charlotte’s Ball stattfand. Schon vor diesem Rennen war ich Joanna Langley mehrmals begegnet, aber an diesem Tag begann unsere Freundschaft, und noch heute denke ich gern, dass wir wirklich befreundet waren. An diesem Tag begriff ich auch, dass Joanna ein Kind der neuen Zeit war; wir anderen spielten nur die Jugend unserer Eltern nach.
    Ascot hat als gesellschaftliches Ereignis heute beinahe ausgedient. Der Sprecher Ihrer Majestät kam zu dem zweifellos vernünftigen Schluss, die Veranstaltung sei für Freunde des Pferderennsports und zur Unterhaltung von Firmengästen gedacht und habe kostendeckend zu wirtschaften. Also wurden bei der wunderbaren neuen Haupttribüne die Ehrenplätze des Königlichen Haushalts (die einzige Vergünstigung, die den armen Höflingen für das viele unbezahlte Lächeln und Herumstehen noch geblieben war) und andere obskure Privilegien gestrichen, und auch der berühmte Zuschauerbereich für die königliche Familie entfiel in der neuen Anlage. Sobald sich der Hof nicht mehr willkommen fühlte, suchten sich viele seiner Mitglieder für diese Tage andere Zerstreuungen, und nach ihrem Rückzug
blieben, so sicher wie die Nacht dem Tage folgt, erst die elegante Welt und als Nächstes die von gesellschaftlichem Ehrgeiz Getriebenen fern, die ohnehin nicht viel mit Pferden im

Weitere Kostenlose Bücher