Eine Klasse für sich
ihre Bewunderer. »Trollt euch, ja?« Die jungen Männer protestierten, aber Joanna blieb unerbittlich. »Geht rein. Bringt mir noch was zu trinken. In ein paar Minuten.« Sie legte die Hand auf meinen Arm. »Ich muss ihm was erzählen, was ganz Privates.« Natürlich hätte sie keinen dieser Sätze sagen dürfen, wenn sie sich auch nur entfernt an die Regeln unserer Kreise gehalten hätte. Nicht in der Zwangsjacke korrekter Umgangsformen zu stecken, hat so manchen Vorteil; so lässt sich vieles leichter durchsetzen. Mit anderen Worten, die Jungs verdrückten sich.
Ich habe bereits von Joannas Schönheit berichtet, und wahrscheinlich rangiert körperliche Attraktivität auf meiner Prioritätenliste viel zu weit oben, aber Joanna war wirklich atemberaubend schön. Ihr Gesicht war so vollkommen, wie ich nie ein anderes gesehen habe, das nicht aus Kunststoff geformt, von einem Künstler gemalt oder über die Kinoleinwand geflimmert war. Glatte, makellose Haut, ein Mund, sanft geschwungen wie ein Blütenblatt, weit auseinanderliegende, tiefblaue, fast ins Veilchenfarbene spielende Augen, gesäumt von langen, dichten Wimpern, die Nase einer griechischen Statue und eine Fülle schimmernder, naturblonder Locken, die ihr bis auf die Schultern fielen. Sie war, wie man sagt, eine wahre
Augenweide. »Was gibt’s denn da zu sehen?« Ihr leichter Essex-Dialekt drang durch meine Träumereien; sie wiederholte die Frage und beförderte mich in die Gegenwart zurück.
»Dich«, antwortete ich.
Sie lächelte. »Wie nett.« Zu allem anderen kam noch der ungemein bezaubernde Gegensatz zwischen ätherischer Erscheinung und absoluter Bodenständigkeit – Joanna war herzerfrischend unkompliziert. Das lässt sich schwer in Worte fassen, aber genau deshalb haben Ende des neunzehnten Jahrhunderts so viele Adelige ein Revuegirl zur Frau genommen. Joannas Heiterkeit war das Gegenteil von gefallsüchtig, hatte aber auch nichts gesucht Bescheidenes. Sie war einfach vollkommen natürlich.
»Was hast du mir denn ganz Privates zu sagen? Du spannst mich auf die Folter.«
Sie errötete leicht, kein zorniges Rot, sondern ein sanftes, warmes Rosa, das sich über ihre Züge legte wie ein Hauch von Morgenröte. »Das war nur eine Ausrede, damit die sich verziehen.« Ich lächelte. »Tut mir leid, dass du den ganzen Quatsch am Tor mitgekriegt hast. Ich will nicht, dass du schlecht von mir denkst.« Wieder war die geradlinige Schlichtheit ihrer Bitte sowohl schmeichelhaft als auch ungeheuer entwaffnend.
»Ich bin gar nicht fähig, schlecht von dir zu denken«, sagte ich, schlichtweg die Wahrheit. »Morgen früh wird die ganze Welt davon lesen, und da fühle ich mich gebauchpinselt, dass ich Augenzeuge sein durfte.«
Damit machte ich die Sache leider auch nicht besser. »Meine Mum glaubt, das hilft. Wenn man in der Zeitung steht. Wenn alle über einen reden. Sie glaubt, das macht mich …« – sie suchte zögernd nach dem richtigen Wort – »… interessant.« Mir wurde klar, dass sie mir damit eine Frage stellte, dass sie um Hilfe bat, auch wenn sie es nicht so ausdrückte.
Ich versuchte, sie ermutigend anzusehen und jedes Urteil aus meinem Blick zu verbannen. »Um mit Oscar Wilde zu sprechen: Nur eines ist schlimmer, als ins Gerede zu kommen, nämlich, nicht ins Gerede zu kommen.«
Sie lachte flüchtig, nahm nur höflich zur Kenntnis, dass ich etwas vorgeblich Witziges gesagt hatte, anstatt es wirklich lustig zu finden. Nach einer kurzen Pause sagte sie: »Ja, das habe ich auch schon mal gehört, aber das glaubst du doch selber nicht, oder? Keiner von euch denkt so.«
Das war leider nur allzu wahr, aber ich wollte kein Spaßverderber sein und ganz gewiss ihr nicht den Spaß an diesem Tag verderben. Doch sie bat mich um meine Meinung, daher wollte ich so ehrlich wie möglich antworten. »Das hängt vollkommen davon ab, was du erreichen willst. Was hast du denn für ein Ziel?«
Sie dachte kurz nach. »Das ist es ja gerade. Ich weiß es nicht.«
»Warum nimmst du an der Saison teil? Welche Hoffnungen hast du dir zu Beginn gemacht?«
»Das weiß ich genauso wenig.« Sie wirkte so verzagt wie ein gefangenes Kaninchen.
Ich beschloss, ohne Umschweife zur Sache zu kommen. »Es ist doch ganz einfach«, sagte ich. »Wenn ihr euch von diesem Jahr eine grandiose Partie erhofft, deine Mutter und du, dann habt ihr den falschen Weg eingeschlagen. Wenn du berühmt werden und ins Fernsehen kommen möchtest oder wenn du einen Filmproduzenten oder einen
Weitere Kostenlose Bücher