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Eine Klasse für sich

Eine Klasse für sich

Titel: Eine Klasse für sich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Fellowes
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Meinungsverschiedenheit mit Minna vorausgegangen, die sich schließlich allein mit ihrem Vater zum Tee traf, während ich der Tür zu den Logen zustrebte. Mein Dissens mit Minna kann nicht sehr schlimm gewesen sein, weil ich später mit der Familie zu Abend aß, aber vielleicht trug er zum Ende unserer kleinen Romanze bei. Ich habe mich nie gut mit Menschen verstanden, die nicht ab und zu über ihren Schatten springen können.
    Hinter der Tür fand ich mich plötzlich in ein anderes Ascot versetzt, auf gewisse Weise in die Zukunft von Ascot, wie es heute ist. Zwielichtige Typen in glänzenden Anzügen oder sogar in Hemdsärmeln drängten sich mit ihren Frauen vorbei, die farbenfroh und zuweilen recht auffällig herausgeputzt waren. Ich schob mich zur Rolltreppe vor, die zur Etage mit den Logen hochging. Im Getümmel war hier und da jemand meinesgleichen im Cut zu sehen; unser andersartiger Aufzug wurde mit spöttischen Zwischenrufen, schrillen Pfiffen und dergleichen kommentiert, aber im Großen und Ganzen waren Überschreitungen von gesellschaftlichen Schranken gern gesehen und Witze auf unsere Kosten harmlos.
    Die Logen waren in Ascot immer eine Art gesellschaftlicher Grauzone gewesen. Um eine Loge zu mieten oder zu besuchen, brauchte man kein Ticket für den mondänen Zuschauer – und Tribünenbereich, zu dem früher nicht jeder Zutritt hatte. Und so wurden die
Logen zum Treffpunkt aller, die gesellschaftlich nicht ganz auf der Höhe waren, für die geschiedenen Schauspielerinnen und grinsenden Autohändler, auf die die alte Garde verächtlich herabsah.
    Das zweite Problem bestand im Platzmangel in den meist winzigen Logen. Trat man durch eine der Türen im Betonkorridor, gelangte man in eine Minidiele mit einer kleinen Küchenzeile wie aus einem Wohnwagen der Fünfzigerjahre. Die Diele führte in einen Ess – und Aufenthaltsraum von der Größe eines Hotelbadezimmers, und dahinter lag der Balkon mit zwei, drei Stufen, auf denen zwei Personen gerade nebeneinanderstehen konnten. Alles in allem war die Durchschnittsloge etwa so geräumig und einladend wie ein Lift bei Selfridges.
    Aber allen Mächtigen, die sich auf dem gesellschaftlichen Parkett nicht sicher fühlen – erheblich mehr, als man denken würde –, boten die Logen Gelegenheit, den Renntag nach eigenem Gusto zu genießen, an einem Ort, der bescheiden sein mochte, wo sie aber die Könige waren und weder höhnische Blicke noch kühle Ablehnung erdulden mussten. Das hatte wohl für Joannas Vater den Ausschlag gegeben, und nur unter der Bedingung, dass er sich den größten Teil des Tages in einer Loge verstecken durfte, hatte sich Alfred Langley bereit erklärt, seine Frau und seine Tochter zu begleiten.
    Mrs. Langley schoss auf mich zu, ihre Blicke überprüften den Luftraum hinter meinem Rücken, ob auch niemand Bedeutenderes ihre Aufmerksamkeit benötigte. »Joanna ist auf dem Balkon«, sagte sie, »mit ein paar Freunden.« Dann fuhr sie nervös fort, als befürchtete sie, mit diesem harmlosen Satz womöglich Anstoß erregt zu haben: »Sie hat uns schon gesagt, dass Sie kommen.«
    »Minna war mit ihrem Vater im White’s verabredet, lässt Sie aber grüßen.«
    Mrs. Langley nickte. »Sir Timothy Bunting«, murmelte sie, als wäre mir der Name meines Gastgebers unbekannt.
    »Ja«, bestätigte ich.
    Wieder nickte sie. Sie hatte etwas Unstetes, Schreckhaftes an sich, was ihre gepflegte Frisur, ihr elegantes Kostüm und die wahrhaft edle Brillantbrosche nicht überdecken konnten. Als ich sie besser kennenlernte,
merkte ich, dass dieses Gefühl ängstlicher Unsicherheit sie nie verließ. Sie konnte einfach nicht lockerlassen, vermutlich eine der Eigenschaften, die ihre Tochter reizten bis aufs Blut, gleichzeitig aber die Familie auf Trab hielt.
    Als ich hinaustrat, lehnte Joanna am Geländer, umschwirrt von George Tremayne und zwei anderen Kerlen, die alle ein wenig beschwipst waren und leere Sektflöten schwenkten, diese neuen Gläser, die erst seit Kurzem die sanft gerundeten Sektschalen des vorigen Jahrzehnts zu verdrängen begannen. Wenn die Langleys eines waren, dann auf der Höhe der Zeit. Abgesehen davon war es ein herrlicher Tag , und der Anblick von Joanna, die mir vor dem üppigen Grün der Rennbahn entgegenlächelte, das Gesicht von goldenen Locken und dem weißen Spitzenhut umrahmt, hob meine Laune immens. »Da bin ich«, sagte ich.
    »Tatsächlich.« Sie kam ein, zwei Stufen hoch und küsste mich auf die Wange, dann wandte sie sich wieder an

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