Eine Klasse für sich
Ausmaßen seines Imperiums erfahren hatte, war ich mir nicht mehr so sicher. Es kam mir eher vor, als wollte ich im Buckingham-Palast anrufen und fragen, ob ich mal eben die Königin sprechen könne. Doch ich wurde ohne Weiteres in Kierans Büro durchgestellt, zu seiner überaus höflichen Privatsekretärin. Ich erklärte, ich sei ein Freund aus alten Zeiten und wolle mit ihm über ein neues karitatives Projekt sprechen, das ihn vielleicht interessieren könnte, ein ähnlicher Vorwand wie bei Dagmar. Die Sekretärin seufzte schwach, aber hörbar. Wahrscheinlich war ich heute schon der fünfzigste Bittsteller. »Mit Mr. de Yongs Wohltätigkeitsarbeit befasst sich eine andere Abteilung«, sagte sie. »Soll ich Sie dorthin verbinden?«
Ich beschloss, alles auf eine Karte zu setzen, da ich keine Alternative hatte; aber meine Zuversicht schwand. »Ehrlich gesagt würde ich lieber mit Kieran selbst sprechen, wenn er einen Moment für mich erübrigen könnte.« Ich hoffte, der etwas anmaßende Gebrauch seines Vornamens verliehe meiner Bitte mehr Nachdruck. Die Sekretärin zögerte und bat mich, meinen Namen noch einmal zu buchstabieren. Dann schob sie mich in die Warteschleife ab, wo ich mir eine ziemlich schlechte Aufnahme von Strawinskis Sacre du Printemps anhören musste. Diesmal hatte ich keine Ahnung, was ich machen sollte, wenn er mich nicht sehen wollte. Und warum sollte er? Wenn er
sich überhaupt an mich erinnerte, dann an den ziemlich hochnäsigen, pickligen jungen Mann von damals, der ihn bei jeder Gelegenheit geschnitten hatte. Und an jenen schrecklichen letzten Abend. Natürlich gehört es zu den großen Freuden des Erfolgs, vor allem eines Erfolgs, den einem keiner zugetraut hat, wenn man die alten Ignoranten zwingen kann, ihre frühere Meinung zu revidieren. Vielleicht nicht mit Worten, aber mit Blicken einzugestehen, dass sie sich getäuscht hatten und nun dastanden wie die Idioten. Ich konnte nur hoffen, dass ihn die Vorstellung, wie ich vor ihm zu Kreuze kroch, amüsieren würde.
Dann knackte es in der Leitung, und zu meiner Überraschung war Kieran selbst dran. »Du lieber Himmel«, sagte er. »Welchem Umstand verdanke ich dieses unerwartete Vergnügen?« Selbst an dieser banalen Phrase erkannte ich, dass er reifer geworden war. Sein Ostlondoner Akzent hatte sich abgeschliffen, dennoch klang er unprätentiös und dazu überraschend warmherzig.
»Ich bin überrascht, dass du dich an mich erinnerst.«
»Blödsinn. Ich habe deine Karriere mit Interesse verfolgt. Und sogar ein paar von deinen Büchern gelesen.«
Ich lächelte, so erleichtert war ich, dass meine Aufgabe nun wieder durchführbar schien. »Genug geturtelt«, sagte ich und brachte ihn damit zum Lachen. Aber als er fragte, worum es denn ginge, geriet ich ins Stottern; ich hatte nicht damit gerechnet, den bedeutenden Mann so schnell an die Strippe zu bekommen, und mir meine Geschichte noch nicht ganz zurechtgelegt.
Gnädig machte er meinem Gefasel ein Ende – mit einer Einladung. Mittags sei er schon Monate im Voraus ausgebucht, aber ob ich wohl zum Abendessen frei sei. »Oder ist es schwierig für dich, abends wegzukommen?«
»Nein, muss ich leider gestehen. Wie sieht’s bei dir aus?«
»Genauso.« Er schlug den Savoy Grill vor, da er in Kürze wegen Renovierung für zwei Jahre schließen würde. Wir fanden beide, ein berühmtes Restaurant aus unserer gemeinsamen Jugend, das bald für immer verschwinden würde, sei ein guter, ja witziger Treffpunkt für einen Blick in die Vergangenheit.
Das alte Savoy gibt es heute nicht mehr, diese wirre, aber eindrucksvolle Mischung aus Odeon und Belle Epoque , von meiner Kindheit an ein Glanzlicht in meinem Leben, wo ich mit alten Tanten Tee trank, im River Room Bälle und Cocktailpartys besuchte und später auf zahllosen Hochzeiten, Geburtstagen und privaten Feiern lächelte und jubelte. Hier habe ich noch in neuerer Zeit Galadiners mit ihrer stets voraussehbaren Speisefolge abgesessen und Preisverleihungen, bei denen man sich in künstlicher Fröhlichkeit gegenseitig auf den Rücken klopft. Nicht lange nach meinem Essen mit Kieran schloss der neue Besitzer die Türen und versteigerte die Inneneinrichtung, und bis zur Einweihung des neu gestalteten Hotels sollte sehr viel Zeit vergehen. Auch wenn das Management den besonderen Platz anerkennt, den das Savoy über ein Jahrhundert lang in den Herzen der Londoner eingenommen hat, auch wenn es versucht, der Geschichte möglichst gerecht zu werden,
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