Eine Klasse für sich
Siebzigerjahre baute er dann, vermutlich die Reserven der Langleys anzapfend, die Boutiquenkette Clean Cut auf, ein Name, den ich ganz pfiffig fand. Fotos aus jener Zeit zeigten ihn auf dem roten Teppich etlicher Galaempfänge, mit Joanna am Arm und in sogar nach damaligen Maßstäben einfach grauenerregender Montur. War meine Generation von Blindheit geschlagen gewesen? Was trieb Menschen dazu, ihre sichere Behausung in einer weißen Lederjacke mit Cowboynieten und Fransen zu verlassen, oder im blassblauen Glitzeranzug mit schwarzem Hemd und Silberschlips? Im russischen Bauernkittel oder im abstrusen Uniformverschnitt? Sie glaubten wohl, sie sähen aus wie Elvis oder Marlon Brando, erinnerten aber nur an einen bekifften Zauberkünstler auf einem Kindergeburtstag.
Doch in den nächsten Jahrzehnten legte sich de Yongs Sturm und Drang. Spätere Fotos zeigten ihn erst schick, später zunehmend elegant gekleidet, in Begleitung diverser Models und schließlich einer aufsehenerregend attraktiven zweiten Ehefrau. In den Achtzigern verkaufte er seine Ladenkette für Millionen und wandte sich dem Immobiliengeschäft zu, der boomenden Branche der Zeit. Er steckte viel Geld in die Docklands, was ihm eine Weile lang schlaflose Nächte bereitet haben musste, bis sich erwies, dass die Zweifler sich geirrt
hatten und das Geld siebenfach zurücksprudelte. Weitere Bauprojekte folgten, einige der neuen Londoner Wahrzeichen, eine Ferienanlage in Spanien, eine neue Stadt in Nordwestengland. Er expandierte und investierte in die Pharmaindustrie und – forschung; seine Firma war führend auf dem Gebiet der Medikamente gegen Arthritis und einiger weniger bekannten Krebsarten. Der Gewinn floss in die Bildung und in Projekte gegen die mangelnde soziale Mobilität, verursacht durch gewisse Marotten der akademischen Traditionalisten. Es beeindruckte mich, wie mutig dieses Kind der Sechzigerjahre eine Gruppe angriff, die den Botschaften der Achtundsechziger noch sklavisch ergeben war. Kurz, ich blickte auf ein kühnes, erfülltes und dabei einschüchternd verdienstvolles Leben. Es überraschte mich nur, dass ich und vermutlich auch die allgemeine Öffentlichkeit so wenig von ihm gehört hatten.
Im Grunde hatte ich Kieran de Yong gar nicht gekannt. Wir hatten uns nur einmal länger gesehen, bei jener Hausgesellschaft in Portugal, die mich immer noch in meinen Träumen verfolgt; aber sogar damals hatten wir kaum miteinander gesprochen. Und nach unserer Rückkehr nach England hatten die meisten keine Lust auf ein Wiedersehen. Zumindest ich nicht, und so war der Zeitpunkt für eine neue Freundschaft denkbar ungünstig. Auch hatte ich ihn damals mit seiner albtraumartigen Kleidung und seinen armseligen Versuchen, cool zu sein, als gewöhnlich abgetan, als ungebildet, langweilig, ja peinlich. Joanna machte es noch schlimmer, weil sie ihn wütend in Schutz nahm und die Stimmung unbehaglich aggressiv wurde, sobald die beiden zusammen auftauchten. Ich kann mich nur mit dem Hinweis verteidigen, wie schwierig es ist, einem Mann mit gefärbten, zumal rotblond gefärbten Haaren aufmerksam zuzuhören – da wird mir wohl jeder zustimmen. Aber wenn ich mir Kierans beeindruckenden Lebenslauf ansah, fühlte ich mich zutiefst beschämt. Was hatte ich in meinem Leben zustande gebracht, was auch nur entfernt an seine Leistung heranreichte? Was hatten meine Freunde geleistet, um mit ihm im selben Atemzug genannt zu werden?
Über sein Privatleben gab es wenig Information. Er hatte Joanna 1969 geheiratet, das fragliche Baby, ein Junge, war ehelich geboren
und konnte nicht die Ursache einer übereilten Hochzeit gewesen sein. Er hieß Malcolm Alfred, weitere Details lieferte Wikipedia nicht. 1983 kam die Scheidung, und offen gestanden wunderte ich mich genauso sehr wie Damian, dass die Ehe überhaupt so lange gehalten hatte. Die bildschöne zweite Frau, die Kieran 1997 heiratete, hieß Jeanne LeGrange, der Name war vielleicht ein Hinweis auf einen kosmopolitischen Lebensstil. Weitere Scheidungen, Frauen, Kinder wurden nicht erwähnt. Mich interessierte vor allem, dass Joanna laut Damian die Affäre mit ihm bis weit in ihre Ehe hinein fortgeführt hatte. Auch das ein Indiz, dass sie de Yong nicht geheiratet hatte, weil sie ihn unsterblich liebte, sondern, wie ich stets vermutet hatte, um ihrer Mutter zu entkommen.
Auf Damians Liste stand Kieran de Yongs Geschäftsnummer. Ich hatte erst gedacht, es handle sich um seine Direktnummer, aber nun, da ich von den
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