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Eine Klasse für sich

Eine Klasse für sich

Titel: Eine Klasse für sich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Fellowes
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dir«, bedankte ich mich, als er beim Kellner zwei Gläser Champagner bestellte.
    »Es ist mir ein Vergnügen.« Dann studierte er die Speisekarte und ich sein Gesicht. Er hatte Format gewonnen, anders kann ich die Verwandlung nicht beschreiben. Und er strahlte Autorität aus, die Autorität der wirklich Großen. Höflich, entspannt und natürlich, wie er war, spürte man doch gleichzeitig, dass er wie alle Mächtigen Gehorsam erwartete. Der Kellner kehrte mit unseren Getränken zurück. »Also«, sagte er, als wir wieder allein waren, »worum geht’s?« Ich murmelte etwas nicht ganz aus der Luft Gegriffenes von meinem karitativen Projekt; falls er sich spendabel zeigte, sollte auch jemand davon profitieren. Aber ich erkannte schnell, dass ihn das Thema nicht sonderlich interessierte. »Ich unterbreche dich lieber gleich«, fiel er mir ins Wort und hob freundlich die Hand, um meinen Redefluss zu stoppen. »Ich unterstütze nur drei Organisationen. Diese Grenzen musste ich setzen, da ich wöchentlich etwa hundert Anfragen bekomme. Alles absolut unterstützenswert, aber ich kann nicht allem Leid der Welt abhelfen. Wenn du willst, gebe ich dir einen kleinen Scheck, aber das war’s dann.«
    Ich nickte. Er wirkte sehr dezidiert, und auch bei einem echten
Anliegen hätte ich mich seiner Entscheidung sofort gebeugt. »Danke«, sagte ich. Dennoch war ich verwirrt. Schließlich hatte mir seine Sekretärin genau dasselbe mitgeteilt, und als er das Gespräch übernahm, hätte er mein Gesuch in aller Höflichkeit ablehnen können. »Aber warum sitzen wir dann hier?« Meine Worte kamen nicht ganz so heraus wie beabsichtigt, deshalb setzte ich eilig hinzu: »Ich freue mich natürlich sehr, dass wir hier sitzen, und es macht mir großes Vergnügen, dich wiederzusehen, aber ich bin überrascht, dass du Zeit für so etwas hast.«
    »Ich habe Zeit«, sagte er. »Ich habe viel Zeit für Dinge, die mir wichtig sind.« Ein höflicher Allgemeinplatz, aber keine echte Antwort auf meine Frage, wie er selbst merkte. »Ich verbringe heute den größten Teil meiner Zeit damit, über die Vergangenheit nachzudenken, über alles, was mir zugestoßen ist, über das Leben, das ich geführt habe – kurz, wie ich wurde, was ich bin.«
    »Dann kommen bei dir also alle, die mit der Vergangenheit zu tun haben, in den Genuss eines Sonderstatus?«
    »Ich treffe mich gerne mit ihnen. Vor allem wenn ich sie wie dich lange nicht gesehen habe.«
    »Offen gestanden wundere ich mich, dass du dich überhaupt an mich erinnerst. Ich habe mich auf ein erstauntes ›Wer?‹ gefasst gemacht. «
    Er lachte leise auf, seine Augen aber blickten sehr traurig. »Ich glaube nicht, dass jemand dieses Dinner vergessen könnte.«
    »Nein.«
    Er hob das Glas. Die Jahre ganz oben hatten ihn gelehrt, nicht mit mir anzustoßen, wie er es damals sofort getan hätte. »Auf uns. Findest du, dass wir uns verändert haben?«
    Ich nickte. »Sehr, würde ich sagen. Ich bin vielleicht nur eine dickere, kahlere, tristere Ausgabe meines jüngeren Ich, aber du kommst mir vor wie ein anderer Mensch.«
    Er lachte herzhaft, als gefiele ihm diese Vorstellung. »Kieran de Yong, Modedesigner der Stars.«
    »Das ist der Mann, den ich kannte.«
    »Du lieber Gott!«

    »So schlimm war er auch wieder nicht.«
    »Alkohol oder Depressionen haben dich wohl milde gemacht. Er war grauenhaft.«
    Da ich im Grunde seiner Meinung war, widersprach ich nicht. Unser Kellner hielt sich im Hintergrund und wartete auf eine Gesprächspause, damit er die Bestellung aufnehmen könnte. Kieran nickte ihm leicht zu, und er trat heran, Block und Bleistift in der Hand. Tröstlich zu wissen, dass die Kunst einer zuvorkommenden Bedienung noch nicht ganz ausgestorben ist, auch wenn man heute danach suchen und sicher teuer dafür bezahlen muss. Nichts gegen die Flut von Osteuropäern, denen die Aufgabe übertragen wurde, mich nach meinen Wünschen zu fragen. Sie wirken im Großen und Ganzen fröhlich und nett, ein angenehmer Gegensatz zum mürrischen Engländer, der immer aussieht, als wollte er einem am liebsten in die Suppe spucken. Aber ich wünschte, jemand würde ihnen den Tipp geben, nicht gerade dann dazwischenzuplatzen, wenn der Gast zu einer Pointe ansetzt.
    Der Mann hatte alle nötigen Informationen eingeholt und entschwand, um die Bestellung aufzugeben. »Was hat dich so verändert? «, fragte ich. Was ich meinte, brauchte ich nicht näher zu erläutern.
    Er dachte einen Moment nach. »Bildung. Erfahrung. Oder

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