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Eine Klasse für sich

Eine Klasse für sich

Titel: Eine Klasse für sich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Fellowes
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Wohnungstür auf, hinter der die Dunkelheit des Alleinlebens auf mich wartete. Im Wohnzimmer schaltete ich von der Tür aus mehrere Lampen an. Ich hatte mich noch nicht ganz daran gewöhnt, dass ich jedes Mal, wenn ich nach Hause kam, alles genauso vorfinden würde, wie ich es verlassen hatte. Als Bridget ging, ging sie endgültig. Als ich ihr nachwinkte, hatte ich den Verdacht, sie betrachte die Trennung nur als vorübergehend, und ich würde verräterische Zeichen finden, dass sie mit einer baldigen Rückkehr rechnete. Aber ich habe ihr unrecht getan; sie wollte mich wohl genauso gern loswerden wie ich sie. Wie eigenartig. Man quält sich monate-, sogar jahrelang, ob man Schluss machen soll oder nicht. Ist die Entscheidung aber gefallen, wird man ungeduldig wie ein Kind an Heiligabend. Nur mit größter Mühe kann man an sich halten, um nicht noch am selben Abend für die Exfreundin zu packen, sie in ein Taxi zu schieben und für immer zu verabschieden. Man brennt auf ihr Verschwinden und will endlich mit dem Rest des eigenen Lebens beginnen. »Ich werde dir fehlen«, sagte sie bei ihrem letzten Kontrollgang durch die Wohnung, ob sie auch nichts vergessen hatte.
    »Ich weiß«, stimmte ich ihr zu, in solchen Fällen ein Muss. Auch dafür gibt es eine Etikette, und diese Floskel fällt in dieselbe Kategorie wie: »Es ist nicht deine Schuld, sondern meine«. Übrigens war ich in jenem Moment tatsächlich überzeugt, dass sie mir fehlen würde. In Wirklichkeit vermisste ich sie dann nicht sehr. Oder viel weniger als erwartet. Ich kann ganz gut kochen, wenn ich mir Zeit und Muße dafür nehme, und habe das Glück, dass eine Putzfrau ein paarmal die Woche bei mir sauber macht. Die gravierendste Veränderung war, dass ich die langen, dunklen Abende nicht mehr mit einem Menschen verbringen musste, der andauernd von mir enttäuscht war. Und das tat gut. Eines der größten Geschenke des Älterwerdens ist die Entdeckung, dass das gefürchtete Alleinsein viel angenehmer ist als gedacht. Allerdings muss ich differenzieren: Allein alt und krank zu sein, allein zu sterben, ist recht traurig, und irgendwann möchte man vielleicht vorsorgen, um diesem Schicksal zu entgehen. Die Aussicht
auf einen einsamen Tod ist für die Kinderlosen noch beängstigender, da sie niemanden haben, von dem sie mit einigem Recht Unterstützung erwarten können, wenn der Verfall einsetzt. Aber sogar für sie, zu denen auch ich gehöre, ist es einfach wunderbar, eine Weile allein zu leben, bevor die Himmelspforte in Sichtweite rückt. Man isst, was man will, sieht sich die Sendungen an, die man sehen will, trinkt, was man will, juhu, und alles ohne Schuldgefühle oder Hast aus Angst, ertappt zu werden. Wenn man das Bedürfnis nach Gesellschaft hat, geht man aus, wenn nicht, bleibt man zu Hause. Wenn man reden möchte, greift man zum Telefon, wenn nicht, dann nicht. Und immer genießt man das segensreiche Geschenk der Stille, einer Stille nicht des Grolls, sondern des Friedens.
    Das alles gilt natürlich nur nach einer unbefriedigenden Beziehung, nicht für Witwer oder Witwen, die eine glückliche Ehe geführt haben. Ich werde mich immer an die Worte meines Vaters erinnern, dass andere den Tod ihrer Frau befreiend finden mögen, weil sie nun endlich einem Interesse, einem Hobby oder einer wichtigen Aktivität nachgehen können, denen die Ehe im Weg gestanden hatte. Er aber habe nichts gewonnen und alles verloren, eine bewegende Hommage, die meine Mutter überdies mehr verdiente, als er ahnte. Aber nach einer lang ersehnten Trennung ist die Lage anders. Natürlich wird einem auch hier etwas fehlen, Sex zum Beispiel, aber Bridget und ich hatten längst nicht mehr aus echtem Interesse miteinander geschlafen, sondern weil wir beide glaubten, der andere erwarte es. Ich will nicht leugnen, dass es für Menschen in den Fünfzigern etwas Erschreckendes hat, wenn sie sich wieder auf Partnersuche begeben müssen, um die Lücke zu füllen. Aber »Freiheit« ist ein Wort, das niemals seinen Glanz verliert.
    Als ich am nächsten Morgen am Schreibtisch saß, überdachte ich noch einmal den Stand der Dinge – ich hatte bei meiner Suche nach dem Glückskind zwar keine Fortschritte gemacht, aber die Lösung war abzusehen. Meine Liste war auf zwei Frauen geschrumpft, Candida Finch und Terry Vitkov. Danach müsste meine Aufgabe erledigt sein. Dabei hatte ich vor, mit Candida anzufangen, da sie in England lebte. Falls sie die Gesuchte war, konnte ich mir den

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