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Eine Klasse für sich

Eine Klasse für sich

Titel: Eine Klasse für sich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Fellowes
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hätte für seinen Urlaub einfache, aber komfortable Ferienhotels gebucht. Doch seine Frau machte die unliebsame Entdeckung, dass der schwindelerregende Anstieg ihres Vermögens nicht die ersehnte soziale Anerkennung brachte, die ihr zustand, wie sie nicht ganz zu Unrecht meinte. In England heißt es oft, Amerika sei eine klassenlose Gesellschaft, blanker Unsinn, wie jeder Reisende bestätigen kann. Vor allem in den Provinzstädten ist die soziale Struktur für den ehrgeizigen Neuankömmling beeindruckend undurchlässig. Angeblich war es einfacher, Zugang zum Lever des Königs in Versailles zu erhalten, als in die inneren Zirkel von Charleston vorzudringen. Und in den übrigen amerikanischen Städten verhielt es sich nicht anders.
    Das ist schon immer so gewesen. Zwischen 1880 und 1900 fiel eine Unzahl amerikanischer Erbinnen in England ein, weil die Töchter neureicher Väter es satthatten, in Cleveland, St. Louis oder Detroit immer die Tür vor der Nase zugeschlagen zu bekommen. Sie zogen den herzlichen Empfang vor, den die Hochwohlgeborenen Englands schon immer dem großen Geld bereitet hatten. Karrieren wie die der Virginia Bonynge alias Viscountess Deerhurst, die ihr Leben als Tochter eines verurteilten Mörders aus dem Mittelwesten begann, schienen zu bestätigen, dass die Dinge auf der hiesigen Seite des Teichs viel unkomplizierter waren. Und wie süß die Rache, wenn die Mütter der Duchess von Manchester, der Countess von Rosslyn, von Lady Randolph Churchill und vieler, vieler anderer triumphierend nach Hause zurückkehrten, an den Schauplatz ihrer Demütigungen, und ihren Schwestern ihr Glück unter die Nase rieben. Ich hatte den Verdacht, dass solche oder ähnliche Gedanken hinter dem Plan steckten, der Ende 1967 in Verena Vitkov Gestalt annahm: Sie wollte ihre Tochter durch eine Londoner Saison schleusen.

    In jenen Tagen boten sich den Müttern verschiedene Möglichkeiten, die Kosten dafür etwas zu dämpfen. Die Saison war bereits weniger opulent als vor dem Krieg, als in London jeden Abend drei bis vier Bälle gegeben wurden. Solange es noch eine Vorstellung bei Hofe gab, fanden wöchentlich noch ein halbes Dutzend Bälle statt, zu meiner Zeit nur noch zwei oder drei, und fünfzehn Jahre später sank die Zahl auf weniger als zehn in der ganzen Saison. Schon 1968 luden manche Mädchen nur noch zu Cocktailpartys und nicht zum Ball, andere veranstalteten beides, teilten aber den Ball mit einer anderen Debütantin, woran niemand etwas auszusetzen fand. Serena Gresham hielt ihren Debütball zusammen mit ihrer Cousine Candida Finch ab, allerdings nur deshalb, weil Lady Claremont beide Mädchen finanzierte. Terry Vitkov aber hatte den Ehrgeiz, das gesamte Programm zu absolvieren, worin sie zweifelsohne von ihrer Mutter, Verena der Furchtlosen, tatkräftig unterstützt wurde. Die Cocktailparty, die die Vitkovs sehr früh, bevor sie richtig Fuß gefasst hatten, im Hotel Goring gaben, war recht durchschnittlich, aber der Ball sollte unbedingt ein denkwürdiges Ereignis werden, dazu waren die beiden wild entschlossen. Was auch gelang, wenngleich nicht ganz wie beabsichtigt, aber davon später. Die Wahl des Ortes jedenfalls war ausgesprochen originell. Mrs. Jeffrey Vitkov, hieß es auf der Einladung, gab sich die Ehre, »für Terry« in Madame Tussauds Wachsfigurenkabinett zu laden.
    Ich weiß nicht, ob man diese Lokalität immer noch für eine private Party mieten kann – nicht nur einen Saal oder einen speziellen Partyraum, sondern das ganze Gebäude samt Inhalt. Ich möchte es bezweifeln, oder falls doch, dann zu einem exorbitanten Preis, den nur Superreiche zahlen können. Vor vierzig Jahren aber war es möglich. Die Exponate waren natürlich weniger gefährdet als heute. Zum einen hielten wir uns strenger an Regeln und Vorschriften, zum anderen gingen wir achtsamer mit den Dingen um. Kriminalität war in den mittleren und oberen Schichten selten. Heute seufzt man auf, wenn man hört, dass auf dem Land früher niemand die Haustür zusperrte, nicht, wenn man nur schnell zum Einkaufen ging. Im Londoner Zentrum gingen wir nachts bedenkenlos zu Fuß nach Hause.
Ladendiebstahl galt nicht als cool, sondern schlichtweg als kriminelle Handlung. Straßenraub kam selten vor. Und wir tranken erheblich weniger. Was natürlich nicht bedeutete, dass jede Party ohne Panne über die Bühne ging.
    Am Abend von Terrys Ball speiste ich ganz hervorragend, weil meine Gastgeber das Dinner für uns völlig verschwitzt hatten. Ich

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