Eine Klasse für sich
mitmachen. Ich glaube, wir haben nur noch zwei Bälle und ein paar Wohltätigkeitsveranstaltungen vor uns, dann ist alles vorbei.«
»Ohne mich. Mir reicht’s. Außerdem sollte ich noch einiges arbeiten, bevor ich vergesse, was ich eigentlich studiere.«
Ich sah ihn an. Er hatte etwas Entschlossenes, Mürrisches, das neu an ihm war. »Ist gestern Abend irgendwas vorgefallen?«, fragte ich.
»Wie meinst du das?«
»Du wirkst ziemlich ernüchtert.«
»Wenn ich ernüchtert bin, hat das mit gestern Abend nichts zu tun. Sondern mit dem ganzen blöden, affektierten, langweiligen Getue. Das steht mir bis hier.«
»Wenn du meinst.«
Danach fuhren wir mehr oder weniger schweigend bis Northampton durch. Ich kannte die Stadt nicht; Damian lotste mich zu einer Straße mit absolut respektablen Doppelhäusern aus den Dreißigerjahren, Backsteinbauten mit tief heruntergezogenen Dächern. An jedem Tor stand ein Name. Das Haus, vor dem wir hielten, hieß» Sunnyside«. Als wir ausluden, ging die Tür auf, und ein Paar mittleren Alters kam heraus, der Mann in einem ziemlich farbenfrohen Pullover und Kammgarnhose, die Frau im grauen Rock; die Strickjacke
über ihren Schultern wurde von einer glänzenden Kette zusammengehalten. Der Mann trat zu uns und griff nach dem Koffer. »Das ist mein Vater«, sagte Damian und stellte mich vor. Ich schüttelte ihm die Hand.
»Nett, dass wir uns mal kennenlernen«, sagte Mr. Baxter.
»Sehr erfreut.« Ich würgte sein herzliches Willkommen ab, indem ich seinen Gruß nicht mit ähnlichen Worten erwiderte, sondern mit einer, wie ich in meiner jugendlichen Einfalt glaubte, höflichen steifen Floskel.
»Möchten Sie nicht hereinkommen?«, fragte Mrs. Baxter. »Kann ich Ihnen einen Kaffee anbieten?« Aber ich kam nicht herein und trank keinen Kaffee. Heute tut es mir leid, dass ich ihre Gastfreundschaft ausgeschlagen habe. Ich entschuldigte mich mit einer Verabredung in London um drei Uhr, zu der ich es vielleicht ohnehin nicht mehr schaffen würde. Ich redete mir ein, diese Verabredung sei wichtig, vielleicht war sie es auch, aber heute bedaure ich mein Verhalten. Und auch wenn ich es nicht zugeben wollte, freute ich mich doch, Damians Eltern kennenzulernen. Sie waren nette, anständige Leute, die Mutter sehr bemüht, der Vater offensichtlich ein kluger Kopf. Später erfuhr ich, dass er Geschäftsführer einer Schuhfabrik und leidenschaftlicher Opernfan war. Es stimmte mich traurig, dass ich ihnen nicht schon früher begegnet war. Dass sie keinen Anteil haben durften an den Vergnügungen jenes Jahres, nicht einmal an den Universitätsfeiern. Rückblickend erkenne ich hier ein Schlüsselereignis, auch wenn mir das damals nicht bewusst war. Einen der ersten Anlässe, bei denen ich dem schleichenden Gift des Snobismus auf die Spur kam, seiner Tyrannei, den absurden Wertvorstellungen, die mich dazu verleitet hatten, das freundliche Angebot der beiden abzulehnen, die Damian dazu verleitet hatten, diese beiden liebenswürdigen, intelligenten Menschen zu verstecken, weil er sich ihrer schämte.
Als Damian mich an jenem Morgen mit zu sich nahm, entschuldigte er sich damit bei seinen Eltern und signalisierte, dass es keinen Grund zur Scham gab. Er hatte seine Eltern hinter einer Mauer versteckt, weil er nicht wollte, dass ich über ihn urteilte, ihretwegen auf ihn herabsah, obwohl an ihnen nicht das Geringste auszusetzen war.
Wie recht er mit seinen Befürchtungen hatte! Unsere ganze Clique hätte auf ihn herabgesehen. Ich erröte, wenn ich das niederschreibe; ich mochte seine Eltern auf Anhieb, aber wir hätten auf sie herabgesehen, ohne die leiseste moralische Rechtfertigung. Damian hatte eine andere Welt erobern wollen und geglaubt, er müsse dafür seine Vergangenheit über Bord werfen. Er hatte den Übergang geschafft, aber an diesem Morgen schämte er sich für seinen Ehrgeiz, für das Verleugnen seiner Herkunft. In Wahrheit hätten wir uns alle schämen sollen, weil wir so lange, ohne Zweifel anzumelden, mitgespielt hatten. Jedenfalls trennten Damian und ich uns mit der gegenseitigen Versicherung, wir würden uns nächsten Montag in Cambridge sehen, und ich stieg wieder ins Auto.
Während meiner restlichen Studienzeit trafen wir uns natürlich noch mehrmals, aber nie mehr allein. Im Grunde ging meine Freundschaft mit Damian Baxter an jenem Tag zu Ende, am Morgen nach Serena Greshams Ball, und ich kann nicht behaupten, dass es mir leidtat, auch wenn keine so barbarischen Gefühle in mir
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