Eine Klasse für sich
seine Meinung ins Gesicht sagte, glaubte sie wie viele andere in ihrer Position, niemand wüsste von den Dingen, die sie gern unter den Teppich kehrte. Aber wir wussten es alle. Wir wussten, dass ihre Mutter nach oben geheiratet hatte und dann mit ihrem Töchterchen sitzen gelassen wurde, vom noblen Herrn Gemahl, der sich zu neuen Ufern aufgemacht hatte und nie mehr zurückkehrte, nie mehr einen Blick hinter sich warf. Zweifellos erklärte dies ein Gutteil von Lady Beltons ungebremstem Snobismus. »Keine Bange«, sagte Damian. »Niemand sieht Ihnen den Bastard an. Nur den lachhaften, schikanösen Popanz.« Sie hörte ihm zu, brachte aber immer noch keinen Ton hervor und atmete schwer, als wäre sie gerannt. Ihre Wangen zuckten und waren fleckig gerötet; ich fragte mich, ob ihr etwa ein Schlaganfall drohte.
Ich konnte nicht zulassen, dass das so weiterging. Mochte Lord Claremont noch so selbstherrlich sein und Lady Belton noch so debil, aber das ging weit unter die Gürtellinie. Ich stand auf. »Lass gut sein, Damian, das reicht«, sagte ich und spürte in der Gruppe einen leisen Seufzer der Erleichterung, als hätte ich die Grenzen abgesteckt und wir würden jetzt wieder zur Normalität zurückkehren. Doch es sollte anders kommen.
Damian drehte sich um. Und als ich sein Gesicht sah, begriff ich endlich, dass er vor Wut von Sinnen war. Vielleicht nur vorübergehend, aber doch von Sinnen. Ähnlich muss sich ein Wanderer fühlen, wenn er auf einer Waldlichtung plötzlich einem Wolf gegenübersteht, der langsam auf ihn zukommt. Ich sah, wie er den Griff seiner
Waffe umklammerte, und erschrak zutiefst. Ich gebe zu, ich hatte Angst. »Was? Willst du dir jetzt anmaßen, mich abzukanzeln?«, höhnte er. »Du traurige, kleine, geldgierige Null. Du Drecksack. Du Unflat. Du Schleimer.«
»Damian, um Himmels willen, er ist doch dein Freund!«, rief Dagmar. Ich war gerührt, dass sie als Einzige versuchte, mich gegen seine wüsten Attacken zu verteidigen. Serena hätte es vielleicht auch getan, aber ein Blick verriet mir, dass sie in ihrer eigenen Hölle schmorte.
Damian sah erst zu Dagmar hinüber, dann ließ er den Blick in die Runde schweifen. »Was? Ihr glaubt, der sei mein Freund? Ihr glaubt, der sei euer Freund? Er ist nicht euer Freund.« Kopfschüttelnd ging er vor dem Tisch auf und ab wie ein Panther. Im Schatten sah ich zwei Dienstmädchen stehen, die die Szene verfolgten. Niemand rührte sich. Alle hatten mit angesehen, wie Damian mit Lady Belton umgesprungen war, und verspürten keinerlei Wunsch, sich als Nächste ans Messer zu liefern. »Er verachtet euch. Glaubt ihr vielleicht, er findet euch amüsant?« Das schleuderte er Lord Claremont entgegen. »Oder elegant?« Er wartete vergeblich auf eine Reaktion von Lady Claremont. »Oder auch nur im Geringsten interessant?« Das galt dem ganzen Tisch. »Er findet euch langweilig und dumm, aber ihm gefällt euer Leben. Eure Häuser. Eure Titel. Er suhlt sich im jämmerlichen Gefühl der eigenen Wichtigkeit, das er nur hat, weil andere wissen, dass er euch kennt.« Das alles prasselte auf mich herunter wie Peitschenhiebe. »Er pirscht sich an euch heran und kriecht euch in den Arsch und prahlt mit euch, wenn er nach Hause kommt. Aber bildet euch bloß nicht ein, dass er euch mag.«
Serena hatte die ganze Zeit reglos dagesessen, mit gesenktem Kopf, und nun sah ich, dass sie weinte. Tränen strömten ihr die Wangen herunter und hinterließen dunkle Streifen von Wimperntusche. »Und du glaubst, dass er dich liebt, stimmt’s?« Jetzt stand Damian neben ihr, und sie blickte tatsächlich zu ihm hoch, aber ohne ihm zu antworten. »Dein schmachtender Verehrer, der durch dick und dünn mit dir geht, und du lachst über ihn …« Sie hatte angefangen zu protestieren, aber er brachte sie mit erhobener Hand zum Schweigen.
»Du lachst über ihn, du hast mit mir über ihn gelacht, aber du duldest ihn, weil er dich liebt und weil du das süß findest.« Serena blickte nun zu mir herüber. Ich glaube, sie schüttelte den Kopf, um sich von seinen Behauptungen zu distanzieren, aber ich war bereits an einem anderen Ort, einem einsamen Ort der Leere und der Gefühlsstarre, wo ich mich gern versteckt hätte, aber kein Schlupfloch fand. »Er liebt dich nicht. Er liebt, was du bist, er liebt nur, womit er prahlen kann, deinen Namen, dein Geld.« Er machte eine kurze Pause, um Atem zu schöpfen für den Todesstoß, den er mir gleich versetzen würde. »Du solltest hören, was er über dich
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