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Eine Klasse für sich

Eine Klasse für sich

Titel: Eine Klasse für sich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Fellowes
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explosiver nicht sein könnte. Er veränderte sein Leben für immer. Alles Vorherige hätte noch als Bagatelle durchgehen können, hätte sich mit ein paar Entschuldigungen und »jetzt trink erst mal was, alter Junge« rasch beheben lassen. Doch als diese Worte gefallen waren, hatte Damian die Welt der Upper Class endgültig verlassen und sich die Rückkehr für immer verbaut. Die Türen sämtlicher Salons in England schlugen vor ihm zu, in der Luft wirbelte dick der Staub abgebrochener Brücken.
    Lord Claremont schien wie betäubt, als wäre er von einem Auto angefahren worden und noch im Ungewissen, wie schwer er verletzt war. »Wie können Sie es wagen …«, hob er an.
    Aber Damian ließ sich jetzt nichts mehr gefallen. »Wie ich es wage? Wie ich es wage? Wer in aller Welt glauben Sie, dass Sie sind? Welcher Irrsinn gibt Ihnen das Recht, so mit mir zu sprechen, Sie alter Trottel, Sie ?« Eigenartig – die gesamte Tirade mit Ausnahme der Beleidigung am Schluss hätte genauso gut von Lord Claremont selbst stammen können; die Umkehr der Stoßrichtung mutete äußerst seltsam an. Wir dürfen absolut sicher sein, dass Lord Claremont in seinen ganzen achtundfünfzig Lebensjahren kein einziges Mal auch nur annähernd einem solchen Affront ausgesetzt war. Wie alle reichen Aristokraten weltweit hatte er kein realistisches Selbstbild, weil er stets für Begabungen gelobt wurde, die er nicht einmal als Kind besessen hatte. Man braucht sich kaum zu wundern, dass er nicht infrage stellte, was er seit einem halben Jahrhundert von jedem
Schmeichler zu hören bekam. Er war nicht intelligent genug, um zu erkennen, dass die Lobhudeleien Humbug waren und er auf dem freien Markt nichts zu bieten hatte. Es war ein Schock für ihn, ein fürchterlicher Schock, statt als würdevolle, erhabene, bewunderte Gestalt plötzlich, auch vor sich selbst, als Narr dazustehen.
    Lady Belton war schlecht beraten, als sie just in diesem Moment sich einzumischen beschloss. »Sie sollten sich schämen, junger Mann!«, stellte sie laut fest, nicht nur zu Damian gewandt, sondern zur ganzen Tischgesellschaft, unseligerweise in einem penetrant gebieterischen Ton, der besser zu einer Farce gepasst hätte als zu einer echten Auseinandersetzung. Sie wollte wohl hoheitsvoll wirken, klang aber nur lächerlich . »Hören Sie unverzüglich mit diesem Unsinn auf«, schrillte sie, »und entschuldigen Sie sich bei Lord Claremont! «
    Damian wirbelte herum, und zum allgemeinen Entsetzen schnappte er sich blitzschnell das Brotmesser. Mit seiner großen, breiten Klinge hätte es auch in einer Metzgerei gute Dienste getan, fraglos eine tödliche Waffe. Die Szene entgleiste zum Albtraum. Man verstehe mich bitte nicht falsch. Ich war mir vollkommen sicher, dass Damian niemandem etwas antun würde, dazu war er nicht fähig. Wir schwebten nicht in Gefahr. Aber er verstand es, mit dem Schrecken zu spielen, und ließ die Klinge zu seinen Sätzen und Gesten durch die Luft sausen. Unsere Nerven lagen blank, und genau darauf zielte er ab. Wenn wir uns schon vorher nicht geregt hatten, waren wir jetzt wie gelähmt.
    Gemessenen Schritts ging Damian auf Lady Belton zu. Als sie ihn kommen sah, umklammerte sie die Armlehnen ihres Stuhls und stemmte sich gegen die Rückenlehne, das einzige Mal im Leben, dass sie mir ein wenig leidtat. »Sie erbärmlicher alter Drache, Sie Vogelscheuche, Sie Missgeburt, was geht Sie das an?« Er wartete auf eine Antwort, als hätte er eine vernünftige Frage gestellt. Sie starrte auf die Klinge und sagte keinen Ton. »Sie verschrumpelte alte Schlange mit Ihrem schwachsinnigen Snobismus, Ihren hässlichen Kleidern und Ihrer noch hässlicheren Pseudomoral!« Er war bei ihr angelangt, blieb stehen und beugte sich leicht vor, als wollte er den traurigen
Gegenstand seiner Neugier genauer studieren. »Wie war das noch mit Ihnen? Augenblick. Es fällt mir gleich wieder ein.« Er tippte mit der Messerspitze auf seine Unterlippe, als grüble er über ein kniffliges Problem nach. »Haben wir da nicht einen etwas zwielichtigen Vater? Oder war es die Mutter?« Wieder hielt er inne, als wartete er auf eine Antwort, auf die Bestätigung seiner Diagnose. Doch Lady Belton starrte ihn nur an, und unter ihrem Hochmut flimmerte die nackte Angst. Brillant touchiert, muss ich zugeben, ein Degenstoß, der unter die Rippen drang. Lady Beltons Mutter war nämlich nicht tellement grand-chose gewesen, aber Lady Belton dachte, das wäre niemandem bekannt. Weil niemand ihr

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