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Eine Klasse für sich

Eine Klasse für sich

Titel: Eine Klasse für sich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Fellowes
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was er damit erreichen wollte: Er weckte sofort die Beschützerinstinkte aller Mädchen am Tisch, und weder sie noch ihre Freundinnen könnten ihm nun jemals vorwerfen, er würde sich
für etwas ausgeben, was er nicht war. Seine vermeintliche Bescheidenheit war für ihn der Freibrief, immer nur zu nehmen, sich aber niemals verantwortlich zu fühlen einer Welt gegenüber, der er erklärtermaßen nicht angehörte und somit nichts schuldete. Vor allem jedoch fegte er damit sämtliche Barrikaden beiseite. Von nun an hätten die Mädchen keine Angst mehr, von ihm ausgenutzt zu werden, verkündete er doch selbst, er hätte keinerlei Ehrgeiz. Wir hatten noch nicht einmal unser Essen bestellt, da notierte er schon für Joanna und zwei weitere Mädchen seine Adresse.
    Mir fällt auf, dass ich vorhin geschrieben habe, Damian käme »natürlich« auch mit. Warum war das in diesem frühen Stadium seiner Karriere in der Londoner Gesellschaft so selbstverständlich? Vielleicht, weil ich begonnen hatte, seine Talente zu würdigen. Ich sah, wie weiter unten am Tisch Serena zu seiner Linken und Lucy zu seiner Rechten fasziniert an seinen Lippen hingen. Er brachte sie zum Lachen, ohne je den Bogen zu überspannen, und ich begriff, dass er zu den seltenen Menschen gehörte, die sich nahtlos in eine neue Gruppe einfügen, bis sie nach kurzer Zeit zu deren hartem Kern, ja scheinbar zu den Gründern gehören. Er machte Witze und neckte die Mädchen, dann runzelte er wieder die Stirn. Er nahm sie ernst und nickte anteilnehmend, wie jemand, der sie kannte, aber nicht zu gut. In der ganzen Zeit unserer Bekanntschaft machte er nie den klassischen Fehler des Parvenüs, in plumpe Vertraulichkeit zu verfallen. Neulich plauderte ich vor Jagdbeginn mit einem der anderen Gäste. Wir hatten uns beim Dinner am Abend zuvor gut unterhalten, und er glaubte vermutlich, wir seien nun Freunde. Er stupste mich neckisch in den Bauch und zog mich wegen meiner Pfunde auf. Dabei blickte er mir lächelnd ins Gesicht, fand darin aber sicher wenig Grund zur Freude, denn ich beschloss auf der Stelle, in Zukunft einen weiten Bogen um ihn zu machen. Damian unterlief nie ein solcher Fauxpas. Sein Umgang mit den anderen war entspannt und locker, aber niemals frech oder frivol. Kurz, alles, was er sagte, war wohl überlegt und geschliffen formuliert; dieser Abend bot mir die erste Gelegenheit zu beobachten, mit welchem Geschick er seine Beute an Land zog.

    Das Essen war beendet, das Schmorfleisch, das die Mädchen nicht angerührt hatten, abgeräumt. Die Beleuchtung wurde heruntergedimmt, und überall im Raum gingen die Paare zur Tanzfläche. Von unserer Gruppe hatte sich noch niemand vorgewagt, aber wir waren schon fast so weit, und in einer Gesprächsflaute hörte ich, wie sich Damian an Serena wandte. »Willst du tanzen?«, schlug er in einem Ton vor, als spiele er auf ein amüsantes Geheimnis an, das nur sie beide ganz verstehen konnten. Hier war ein Könner am Werk. Gerade lief eine unserer Lieblingsplatten, vielleicht Flowers in the Rain . Nach einer kaum wahrnehmbaren Pause nickte Serena, und die beiden standen auf. Aber es kam noch dicker: Als sie an meinem Tischende vorbeigingen, hörte ich doch tatsächlich, wie er ganz beiläufig bemerkte: »Ich komme mir so blöd vor. Ich weiß, dass du Serena heißt, und erinnere mich sehr gut an den Moment, als wir uns zum ersten Mal begegnet sind, aber ich habe deinen Nachnamen nicht richtig verstanden. Wenn ich noch länger warte, kann ich nicht mehr fragen.« Wie ein Hochstapler oder Höfling hielt er einen winzigen Moment inne, um zu prüfen, ob sein Bluff funktionierte. War er erleichtert, als er kein Anzeichen erkennen konnte, dass sie ihn durchschaute?
    Stattdessen lächelte sie. »Gresham«, flüsterte sie, bevor sie auf die Tanzfläche traten. Ich war starr vor Staunen – wen wundert’s? Nicht nur wusste Damian längst, wer sie war, wo sie wohnte, wo ihre Familie wohnte, und fast sicher auch bis auf den Hektar, wie groß ihre Ländereien waren. Er hätte auch, will ich wetten, die Lebensdaten eines jeden Earl von Claremont herunterschnurren können und die Mädchennamen ihrer Gemahlinnen obendrein. Ich fing seinen Blick auf. Dass ich den Wortwechsel mit angehört hatte, war ihm klar. Aber ihm war nicht die geringste Befürchtung anzumerken, dass ich ihn hätte bloßstellen, das Spiel hätte verderben können. Eine derart riskante Strategie beim Erklimmen des gesellschaftlichen Hochgebirges verdiente beinahe

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