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Eine Klasse für sich

Eine Klasse für sich

Titel: Eine Klasse für sich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Fellowes
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die Achseln. »Ach, hier und da. Wir haben noch was im Garrison getrunken und uns dann bei diesem Kiosk auf der anderen Seite der Chelsea Bridge Sandwiches und Kaffee geholt.« Das sollte sich in diesem Jahr noch oft wiederholen: Vor der kleinen Holzbude im Schatten des Elektrizitätswerks reihten sich, wenn der Morgen graute, junge Männer und Frauen in Abendgarderobe hinter Motorradfahrern in die Schlange, um ein Schinkensandwich zu kaufen. Die Biker waren freundliche Kerle, die der Anblick der verwöhnten Jeunesse dorée eher belustigte als verärgerte. Ich fand die immer ganz nett.
    »Und das war alles?«
    Damian lächelte. »Nicht ganz. Wir sind bei den Claremonts gelandet. «
    »Im Nobelviertel.«
    »Neben dem Kensington-Palast.«
    Ich nickte. »Genau«, sagte ich. Wie frisch er aussah, wie aus dem Ei gepellt, als würde er gleich ausgehen, statt von einer langen Nacht zurückkehren. »Alle Achtung. Wie hast du denn das geschafft?«
    Wieder zuckte er mit den Achseln. »Serena hat den Vorschlag gemacht, und ich sah keinen Grund abzulehnen.«
    »Habt ihr die Eltern geweckt?«
    »Nicht die Mutter. Ihr Vater kam runter und bat uns, nicht zu viel Lärm zu machen.« Er sah sich im Salon um.
    »Möchtest du was trinken?«, fragte ich.
    »Ein Glas vielleicht. Wenn du mir Gesellschaft leistest.«
    Ich goss zwei Whiskys mit Wasser ein. »Eis?«
    »Nicht für mich.« Er lernte schnell.
    »Was ist aus Georgina geworden? War sie dabei?«
    Fast hätte er aufgelacht, konnte sich aber noch beherrschen. »Nein,
Gott sei Dank. Wir brauchten nicht einmal zu lügen. Die Waddiloves haben Lady Belton und Andrew bei deren Wohnung abgesetzt, und Mrs. Waddilove wollte Georgina nicht mehr weglassen.«
    Diese Erklärung hatte für mich etwas leicht Unbefriedigendes. »Die Arme. Ich fürchte, sie ist ein bisschen in dich verschossen.«
    Diesmal lachte er tatsächlich. »Es gibt viele, die dieses Schicksal teilen.« Ein derartiges Selbstbewusstsein, und das in unserem Alter, kam mir damals großartig vor. Er hielt den Neid in meinen Augen wohl für Tadel und beschwichtigte mich eilig. »Jetzt beruhig dich. Ich hab mich auf dem Queen Charlotte’s um sie gekümmert. Wenn wir uns begegnen, werde ich immer liebenswürdig zu ihr sein. Du kannst doch von mir nicht erwarten, dass ich sie heirate, bloß weil sie die Erste war, die mich eingeladen hat.«
    Was ich selbstverständlich weder konnte noch wollte. »Sei einfach nett zu ihr«, sagte ich. Dann führte ich ihn den Gang entlang zu meinem eigenen kleinen Schlafzimmer. Meine Eltern waren auf dem Land, deshalb hatte ich mich in ihrem Zimmer einquartiert. »Und? Hat es deinen Erwartungen entsprochen?«, fragte ich noch, bevor wir unsere Türen schlossen. »Oder findest du das ganze Tamtam blöd?« »Ich weiß nicht, was ich erwartet habe.« Damian zögerte etwas. »Und ein Urteil steht mir nicht zu.« Er schwieg eine Weile. »Aber eins ist mir an euch aufgefallen, vielleicht beneide ich euch sogar darum.« Ich wartete. »Ihr gehört alle irgendwie zusammen, auch wenn sich schwer definieren lässt, wie. Der Mythos, dass ihr euch alle kennt und mögt, trifft nicht zu. Trotzdem hat die Gruppe eine Identität, die ich nicht teile.«
    »Kommt vielleicht noch.«
    Er schüttelte den Kopf. »Nein. Will ich auch gar nicht. Nicht auf die Dauer. Aber ich habe den Verdacht, dass ich am Ende meinen Platz finden werde. Und ihr nicht.«
    Genauso sollte es natürlich kommen.

4
    Ich kann nicht mehr sagen, ob mir zum Lachen oder zum Weinen war, als ich im Herbst 1970 erfuhr, dass Lucy Dalton tatsächlich Philip Rawnsley-Price heiraten würde. Aber an meinen Schock erinnere ich mich noch gut. Philips plumpe Anmache, mit der er Lucy und jedes weibliche Wesen belästigte, das ihm mal kurz zuhörte, war nicht sein einziger Makel. Er war schon mit Makeln zur Welt gekommen, mit einem Gesicht flach wie eine Karnevalsmaske, die auf die Straße gefallen und von einem Zehntonner überrollt worden ist. Seine fahle Haut spielte ins Olivfarbene, was ihm aber keineswegs ein exotisches Flair verlieh. Vielmehr erinnerte er an einen kränkelnden südländischen Liftboy und seine runden, wässrigen, von Fältchen umringten Augen an fette Spiegeleier. Nach einer auffallend kurzen Verlobungszeit wurde ich zur Hochzeit geladen, wo mich die gedämpfte Stimmung verwunderte. Als Lady Dalton uns mit Küsschen empfing und zum Gratulieren an das Brautpaar weiterschob, war sie nicht so fröhlich wie sonst. Und obwohl der Form in jeder

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