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Eine Klasse für sich

Eine Klasse für sich

Titel: Eine Klasse für sich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Fellowes
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ihre studierenden oder gerade in der City anfangenden Brüder, die die Aussicht, mitsamt Mann, Maus und Schiff unterzugehen, insgeheim von sich wiesen und sich lieber umsahen, wie sie wieder festen Boden unter den Füßen gewinnen könnten. Sie würden sich durchsetzen, zu ihnen fühlte sich die Großherzogin von Moldau im Gegensatz zu ihrem fatalistischen Gatten hingezogen, noch bevor sie sich richtig als Gruppe konstituiert hatten. Dagmars Mutter wollte in der neuen Welt einen Brückenkopf errichten, von dem aus die Familie wieder zu neuem Glanz aufsteigen könnte. Das machte sie mir sympathisch.
    Jetzt begann die Musik, die Band hatte ihren Platz auf der kleinen Bühne eingenommen und spielte Coverversionen der Top Ten. Die Gruppe war nicht sehr bekannt, aber wenigstens schon einmal im Fernsehen aufgetreten, was wir damals noch sehr aufregend fanden, und die Paare machten sich auf zur Tanzfläche am anderen Ende des langen Raums. Die Älteren, die in ihren Kostümen auf den Wandsofas saßen, hatten zu diesem Teil des Abends wenig beizutragen; viele spürten das auch, erhoben sich und steuerten auf den Durchgang zu, der zu den Salons und zur Bar führte. Als Lucy und ich zum Tanzen loszogen, hörten wir ein leises Raunen und Rascheln, und ich entdeckte Joanna Langley, umringt von ihren üblichen Bewunderern. Sie trug ein umwerfendes Kostüm, in dem sie sich als Napoleons Schwester präsentierte, Prinzessin Pauline Borghese. Anders als die meisten Kostüme hier, auch das meine, war das ihre nagelneu, vermutlich eigens für diesen Anlass angefertigt, kopiert nach einem Gemälde von Jacques-Louis David. Natürlich wäre die Prinzessin kaum zu einem Ball geladen worden, den die Erzfeinde ihres Bruders gaben, auch überzeugte Joanna mit ihrer modernen Zelluloidschönheit nicht als historische Heldin, trotzdem war ihr Anblick ein Genuss.
    Die Gruppe wich ein wenig auseinander, da entdeckte ich zu meinem Erstaunen eine vertraute Gestalt neben Joanna: Damian Baxter. Er beugte den Kopf zu ihr und flüsterte ihr etwas ins Ohr. Sie lachte, nickte mir dabei grüßend zu und lenkte so seine Aufmerksamkeit auf mich. Ich ging hinüber. »Du hast mir gar nicht erzählt, dass du kommst«, sagte ich.

    »Ich war auch nicht sicher, bis heute Nachmittag. Dann dachte ich plötzlich, ach zum Teufel, was soll’s, bin in den Zug gestiegen und hier bin ich.«
    »Du hast mir nicht gesagt, dass du eine Einladung hast.«
    Er ließ seinen Blick eine Weile auf mir ruhen, seine Mundwinkel zuckten. »Ich hab auch keine.«
    Ich starrte ihn an. Flog mich etwas an wie Baron Frankensteins Entsetzen, als sein monströses Geschöpf sich zum ersten Mal aus eigenem Antrieb regte? »Du meinst, du hast dich reingeschmuggelt«, sagte ich. Ein verstohlenes Lächeln war seine ganze Antwort.
    Lucy hatte zugehört. »Wo hast du so kurzfristig noch ein Kostüm aufgetrieben?« Und was für ein Kostüm! Im Gegensatz zu mir mit meiner unpassenden Hose und den leicht abgewetzten Ärmeln sah Damian aus, als hätte ihm ein Spitzencouturier den Anzug auf den Leib geschneidert. Er war kein Offizier wie die meisten Männer, sondern ein Dandy, vielleicht Beau Brummell oder Byron. Sein Frack schmiegte sich um seinen Oberkörper, die Hose aus Hirschleder und die hohen, glänzenden Stiefel betonten seine Beine. Die Enden der fulminanten weißen Seidenkrawatte verschwanden unter der Brokatweste. Lucy erklärte mit einem Nicken in meine Richtung: »Im Theater von Windsor haben sie das da für ihn ausgegraben.«
    Damian sah mich an. »Du Armer. Mach dir nichts draus.« Mein anfängliches Gefühl, recht beeindruckend auszusehen, schrumpfte in sich zusammen und erstarb. Damian plauderte in seiner leichten, unbekümmerten Art weiter. »Ich habe eine Freundin vom Arts Theatre gebeten, mir ein Kostüm bereitzulegen, falls ich mich zum Ballbesuch entschließen sollte. Sie hat es geschafft, das Ding rechtzeitig in Schuss zu bringen, und das hat die Sache für mich dann entschieden. « Klar, dass sie das geschafft hat, dachte ich. Irgendein armes Mädchen hat sich die Finger wund genäht, hat um Mitternacht an der Waschmaschine gestanden, hat sich die Hand am Bügeleisen verbrannt. Garantiert. Und was war der Lohn dafür? Ganz gewiss nicht Damians Zuneigung.
    Heute wäre es wesentlich schwieriger als vor vierzig Jahren, sich ohne Einladung in eine solche Veranstaltung einzuschleichen. Die
Leute nehmen sich dafür nicht nur viel zu wichtig, sondern sorgen auch noch mit ihrem

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