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Eine Klasse für sich

Eine Klasse für sich

Titel: Eine Klasse für sich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Fellowes
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als Einzige aus der Gruppe einzugreifen. Ich selbst schwieg feige, bewunderte sie aber über alle Maßen.
    »Ich bin gern bereit, mich für Mr. Baxter zu verbürgen, wenn das weiterhilft.« Nach dem Gesichtsausdruck des Mannes zu urteilen, half es nicht. Deshalb wurde Serena noch deutlicher. »Mein Name ist Lady Serena Gresham. Sie finden mich auf der Gästeliste.« Das war nun wirklich bemerkenswert: Normalerweise hätte sich Serena lieber die Zunge abgebissen, als ihren Rang zu erwähnen. Die Sechzigerjahre waren eine merkwürdige Übergangsperiode, was Titel anging – ich meine damit natürlich echte, erbliche Titel. Niemand wusste, wie deren Zukunft aussah. Etwa 1963 waren alle politischen Parteien schweigend übereingekommen, keine neuen Erbtitel mehr zu schaffen. Außerhalb aristokratischer Kreise herrschte die Überzeugung, die Welt sei im Wandel begriffen und ein auf Lebenszeit verliehener, einem Orden vergleichbarer Ehrentitel genieße bald mehr Ansehen als ein ererbter. Anders ausgedrückt, die Bedeutung der großen alten Familien werde neben den neu Ausgezeichneten weitgehend verblassen. Diese Meinung wurde jedenfalls von den Medien verbreitet und wird rührenderweise auch heute noch von einigen Politikern und wackeren Optimisten der linken Intelligenz vertreten. Es gab eine Zeit, in der das alle glaubten. Dann hielten die Medien noch daran fest, dass das Experiment glücken würde, obwohl alle wussten, dass das nicht stimmte. Bis schließlich sämtliche Politiker einmütig, ungeachtet ihrer politischen Couleur, das Scheitern auf der ganzen Linie eingestanden.
    In den Sechzigerjahren bedeutete die neue Skepsis gegenüber ererbten Würden, dass man einen Titel nur mit Vorsicht als Argument einsetzen konnte; in der Öffentlichkeit auf seinen Rang zu pochen war womöglich sogar ein Schuss in den Ofen. So wie jeder sofort den kleinsten Vorteil verspielt, den ihm seine Position einbringen mag, wenn er einen Angestellten im Hotel oder am Flugschalter anblafft: »Wissen Sie überhaupt, wer ich bin?«
    Heute stellt sich die Lage wieder völlig anders dar. Die Aristokratie bleibt eine geschlossene Gesellschaft – und unangefochten an
der Spitze der sozialen Pyramide. Heute würde Serena nicht an der Überlegenheit ihres Rangs zweifeln, und ein Hinweis auf ihren Titel hätte in einer ähnlichen Situation fast sicher den gewünschten Erfolg. Aber damals konnte man sich nicht darauf verlassen, und so war es eine mutige Tat von ihr, diesen Vorstoß zu wagen. Sie war zu Recht etwas unsicher, da sich bald herausstellte, dass ihr Eingreifen kein Wunder wirken würde. Der Mann starrte sie aufdringlich an. »Es tut mir sehr leid, Madam«, begann er. »Aber ich fürchte…«
    »Das ist doch absolut lächerlich!« Dagmars schriller Aufschrei hallte durch den Raum. Eine ihrer hervorstechendsten und sogar anrührendsten Eigenschaften war ihre absolut englische Stimme, zu der ihr fremdländischer Titel und Name nicht recht passen wollten. Sie klang nicht nur englisch, sondern englisch wie vor sechzig Jahren, die Stimme einer Herzogin im Miniaturformat, die 1910 einen Wohltätigkeitsbasar eröffnet. Durch die Menge, die sich vor ihr teilte, marschierte Dagmar auf den Tisch zu wie ein Zwergengeneral. »Natürlich kann Damian bleiben!«
    Diese Komplikation brachte den Mann endgültig aus der Fassung. »Aber Ihre Königliche Hoheit hat ausdrücklich gebeten…«
    »Ihre Königliche Hoheit hat keine Ahnung!«
    »Oh, ich glaube doch !« Mit der mächtigen Gestalt der Großherzogin spitzte sich der skurrile Auftritt zu. Sie wallte majestätisch durch den Raum, bemerkenswerterweise von Andrew Summersby begleitet, der sich neben ihr hielt wie ein kleiner, hässlicher Schlepper im Schatten eines Ozeandampfers. »Es tut mir sehr leid, Mr. Baxter, ich bin sicher, Sie wollten keinen Anstoß erregen.« Sie hielt inne, um Luft zu holen, und ich sah, wie Damian zu einer Erwiderung ansetzte. Aber die Großherzogin war nicht an einem Dialog interessiert, sondern wollte eine Grundsatzerklärung abgeben. »Ich bin jedoch der Meinung, dass gewisse Regeln einzuhalten sind.« Sie lächelte, um die bittere Pille zu versüßen. »Wir können nicht riskieren, dass die Gesellschaft zusammenbricht und uns um die Ohren fliegt. Ich hoffe, Sie grollen mir deshalb nicht allzu sehr.«
    »Keineswegs«, sagte Damian spitzbübisch, immer noch in der Hoffnung, die Situation zu retten.

    »Aber Damian war doch eingeladen!«, rief Dagmar, der die Szene grauenhaft

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