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Eine Klasse für sich

Eine Klasse für sich

Titel: Eine Klasse für sich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Fellowes
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peinlich war. Damit lieferte sie natürlich einen spannenden Beitrag zur Auseinandersetzung. Alle Blicke schwenkten zu ihr hinüber wie beim Tennismatch in Hitchcocks Der Fremde im Zug . » Ich habe ihn eingeladen!« Dass das eine Lüge war, durchschaute garantiert jeder im Saal, aber es war eine edle und großzügige Lüge, die Dagmar in der Achtung ihrer Gäste steigen ließ – die meisten hatten sie zuvor nicht sonderlich gemocht, auch wenn sie ihre Gastfreundschaft gern in Anspruch nahmen. Dies nur am Rande, denn es soll nicht unter den Tisch fallen, dass ihr Eingreifen tatsächlich etwas Gutes bewirkte. Die Hoffnung, ihre Mutter damit umzustimmen, war natürlich absolut töricht.
    »Entschuldige, Liebes, aber Mr. Baxter ist nicht eingeladen worden. Weder von dir noch von mir , was erheblich stärker ins Gewicht fällt.« Der Ton der Großherzogin duldete keine Widerrede. Sie kam nun zum Clou ihrer Beweisführung. »Was er übrigens selbst geäußert hat, in Hörweite von Lord Summersby, der so freundlich war, mich darauf aufmerksam zu machen. Ich würde sogar so weit gehen und sagen, Mr. Baxter hat damit geprahlt , dass er ohne Einladung gekommen ist.« Die Gesichtsfarbe der Großherzogin verdunkelte sich gefährlich. In ihrem in kräftigen Farben gehaltenen Kostüm ähnelte sie allmählich jenen aufblasbaren Nikoläusen, die in der Weihnachtszeit über der Regent Street schweben, nur dass mit ihr nicht zu spaßen war. Mir fiel der leicht osteuropäische Akzent auf, den ihre Stimme mit wachsender Wut annahm, als hätte das Pflichtgefühl gegenüber ihren Untertanen, die sie übrigens nie besucht hatte, ihr eine neue Vergangenheit eingehaucht, ihre Jugendjahre in Yorkshire ausgelöscht und sie kurzerhand in eine waschechte Moldauerin verwandelt.
    Damit hatte sie natürlich verraten, wer verantwortlich war für diesen Vorfall, den ich grässlich nennen würde, die meisten Gäste aber als Höhepunkt des Balls schlechthin empfanden. Gepetzt hatte niemand anderer als Andrew Summersby. Aber diese öffentliche Enthüllung hatte vermutlich nicht zu seinem ursprünglichen Plan gehört; dass sich nun aller Augen auf ihn richteten, war ihm sichtlich
unangenehm. Nach einem Moment des Zögerns entschloss er sich, den Stier bei den Hörnern zu packen, eine Entscheidung, für die ich ihn nicht tadeln kann.
    Bisher hatte er sich im Hintergrund gehalten, doch nun trat er vor. »Komm jetzt«, sagte er, fasste Damian am Oberarm, wie um ihn zu verhaften, und versuchte ihn fortzuziehen.
    Zu unser aller Erstaunen machte sich Damian mit einer blitzschnellen Drehung los, und tausendmal wütender als den Hotelangestellten fauchte er Andrew an: »Nimm sofort die Hände weg, du lächerlicher Trottel!« Dergleichen hatte Andrew nun nicht erwartet, am wenigsten von jemandem, den seiner Ansicht nach die göttliche Vorsehung weit unter ihm platziert hatte. Dass Andrew ein Trottel war, dazu noch ein besonders großer, stand außer Zweifel, aber nur wenige hätten ihm das ins Gesicht gesagt, deshalb traf ihn diese Beleidigung völlig unvorbereitet. Offen gestanden glaube ich, dass auch er gern mit Serena oder einem der anderen Mädchen geflirtet hätte, die den ganzen Abend um Damian herumgeflattert waren, und er einfach eifersüchtig war. Dass die Situation dermaßen eskalierte, bedauerte er sicher mehr als jeder andere.
    Wie viele von uns war er als Husar kostümiert, mit engen, in seinem Fall unkleidsamen Hosen und einem Umhang, was seinen Bewegungsspielraum womöglich fatal einschränkte, aber jetzt gab es kein Zurück mehr. In einem zweiten Versuch, den Übeltäter am Arm zu packen, machte er einen Satz nach vorn. Wieder war Damian zu schnell für ihn und wich mit einer Pirouette aus, die eines Errol Flynn würdig gewesen wäre. Und bevor ihn jemand bremsen konnte, landete er einen mächtigen Schwinger auf Andrews Nase, die laut und abscheulich knirschte. Mehrere Mädchen kreischten auf, vor allem Lydia Maybury in der vordersten Reihe, denn ihr weißes, bezaubernd schräg geschnittenes, mit Maiglöckchen besticktes Organzakleid wurde über und über mit Blut und Rotz aus Andrews zerschmettertem Riechorgan besprüht. Er selbst wirkte durch den unglaublichen Verlauf der Ereignisse so erschrocken, so fassungslos, als bräche plötzlich der Ozean durch die Saalfenster herein. Einen Moment stand er wie in Trance und starrte blicklos vor sich hin, während ihm
das Blut aus der Nase strömte; dann fing er an rückwärtszutorkeln. In ekstatischem

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