Eine Klasse für sich
wie die Großherzogin wusste. Mit Dagmar wurde ein Produkt angeboten, dessen Kursverfall vorprogrammiert war, und da durfte man keine Zeit verlieren. Einmal sah es so aus, als hätte sie gute Chancen bei Robert Strickland, dem Neffen und Titelerben eines Barons, eines Gynäkologen der königlichen Familie, der 1910 nach einer schwierigen, zu einem glücklichen Ende gebrachten Geburt in den Adelsstand erhoben worden war. Robert hatte nicht viel Geld, und der Titel war weder mit Ländereien noch mit einem Herrensitz verbunden, aber immerhin. Außerdem war Robert ein netter Kerl, wenn auch kaum die sprühende Seele einer Party; er arbeitete bei einer Handelsbank und war etwas schwerhörig , Letzteres, zumindest mit Blick auf die Großherzogin, ein großer Vorteil. Doch als er endlich Feuer gefangen hatte, vermasselte Dagmar leider alles; Robert legte ihr nervöses Gekicher als mangelndes Interesse an seinem angedeuteten Antrag aus, den er nicht mehr wiederholte. Ende des Sommers war er glücklich mit der Tochter eines Obersten der Irischen Garde verlobt. Weitere Gelegenheiten auf diesem Niveau sollten sich Dagmar nie mehr bieten.
Dennoch waren wir alle ein wenig verblüfft, als wir im Spätherbst 1970 in den Klatschspalten lasen, Dagmar habe sich mit William Holman verlobt, dem einzigen Sohn eines aggressiven Parvenüs aus Virginia Water. Als ich William kennenlernte, war er gerade dabei, »etwas in der City zu werden«, eine bei unseren Müttern beliebte Floskel. Er hatte an einigen Bällen als Randfigur teilgenommen
und nach unseren jugendlich oberflächlichen, snobistischen Maßstäben die falschen Marken getragen und die falschen Dinge gesagt; keiner hatte ihn ernst genommen. Rückblickend muss ich sagen, dass er wohl ziemlich aufgeweckt war und vielleicht tatsächlich eine Zukunft vor sich hatte – ob eine sonderlich attraktive, war für uns damals nicht ersichtlich. Ich habe die Hochzeit versäumt, weil ich zur gleichen Zeit ein Wochenende in Toulouse geplant hatte, aber anscheinend war alles perfekt, wenn auch ein wenig überstürzt. Die kirchliche Trauung fand in Bayswater statt, der anschließende Empfang im Hyde Park Hotel. Die Eltern des Bräutigams waren euphorisch, die der Braut hatten sich zumindest in ihr Schicksal ergeben. Immerhin war Prinzessin Dagmar von Moldau unter der Haube, verheiratet mit einem Mann, der sie ernähren und etwas Besseres als eine Souterrainwohnung finanzieren konnte. Wie der Großherzogin bewusst geworden war und sie sich in der Ungestörtheit ihres Badezimmers wohl auch eingestanden hatte, war das besser als nichts. Vermutlich blieb ihr auch nicht verborgen, dass noch andere Faktoren am Werk waren, die die Hochzeit wünschenswert machten. Sechs Monate später wurde die Prinzessin von einem Sohn entbunden, einem gesunden Jungen, der keine Anzeichen einer Frühgeburt aufwies.
Nach dem Portugalurlaub hatte ich Dagmar aus naheliegenden Gründen kaum noch gesehen, und als ich auch noch ihre Hochzeit verpasste, brach der Kontakt ganz ab. Ich mochte William nicht, und auch er konnte sich nicht für mich erwärmen; darauf ließ sich kaum aufbauen. Der Gerechtigkeit halber muss ich einräumen, dass er mehr Erfolg hatte als erwartet; er brachte es zum millionenschweren Vorsitzenden einer Investmentgesellschaft und wurde von John Major zum Ritter geschlagen. Wenn ich in der Zeitung von ihm las oder ihn flüchtig bei einer Veranstaltung sah, stellte ich belustigt fest, dass er den Stil, dem er vor vierzig Jahren hinterhergehechelt war, nun perfekt verkörperte: Er trug Anzüge von einem exzellenten Schneider der Burlington Arcade und drosch lautstark alle dazupassenden Phrasen. Ich erfuhr, dass er nun auch jagte und sogar ein treffsicherer Schütze geworden war, und wurde richtig neidisch. Ich staune immer wieder, dass die wirklich Reichen die Gewohnheiten und Vergnügungen
des alten Adels nachahmen, obwohl sie die Mittel hätten, sich ganz anders zu amüsieren. In den Siebzigerjahren war das noch nicht so augenfällig, aber sobald Mrs. Thatcher den Thron bestieg, tauchte in so mancher Brust die geheime Sehnsucht nach Noblesse wieder auf. Über kurz oder lang tauschte jeder Börsenmakler die roten Hosenträger gegen eine Barbourjacke und ging wie der mitteleuropäische Durchschnittsadelige jagen und fischen. Die Clubs in St. James’s, die eine Zeitlang verzweifelt nach Neuzugängen Ausschau gehalten hatten, konnten zu ihrer Freude wieder Wartelisten eröffnen und die Kriterien für eine
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