Eine Klasse für sich
Mitgliedschaft verschärfen.
Äußeres Zeichen dieses Wandels, der den Soziologen anscheinend entging, war die Kleidung. Ab den Achtzigerjahren hoben sich die oberen Schichten in ihrer Alltagskluft wieder von jenen ab, die nach der ehemaligen Hackordnung unter ihnen standen – ganz wie in alten Zeiten. In den Sechzigerjahren dagegen war ein einzigartiges Phänomen aufgetreten: Quer durch alle Schichten kleideten wir uns nach einer neuen, absonderlichen Mode, vielleicht das einzige Mal im vergangenen Jahrtausend, dass fast die gesamte Jugend gleich gekleidet war. Leider trugen wir unser Zusammengehörigkeitsgefühl mit grässlichen Hüfthosen zur Schau, mit breiten Krawatten, Samtanzügen, Bomberjacken und was es sonst noch an Scheußlichkeiten gab. Mochte diese Mode auch hässlich sein, immun dagegen war niemand. Der Rocksaum der Königin rutschte übers Knie, und bei der feierlichen Einsetzung des Prince of Wales in Carnarvon Castle erschien Lord Snowdon in einem Aufzug, der ihn wie einen Steward einer polnischen Fluglinie aussehen ließ. Aber in den Achtzigerjahren wurden die Aristokraten dieser unkleidsamen Maskerade überdrüssig. Sie wollten wieder aussehen wie sie selbst, und in der High Street eröffneten erst Hackett’s, dann Oliver Brown und alle anderen, die diese geheimen Wünsche erkannten und bedienen wollten. Plötzlich waren feine Anzüge wieder an einem merklich anderen Stoff und Schnitt erkennbar. Auch die altbewährten Tweed – und Cordsachen, die seit Jahrzehnten ungeliebt im Schrank verstaubten, wurden hervorgeholt. Der Adel war aufs Neue sichtbar anders und glücklich darüber.
Aber bis es dazu kam, musste eine dunkle Zeit durchgestanden werden. In den Siebzigerjahren hielten wir den Kommunismus für ein dauerhaftes System und rechneten sogar insgeheim damit, dass er einmal die Weltherrschaft übernehmen würde. Und weil wir unserem Lebensstil keine große Zukunft einräumten, stürzten wir uns ins Vergnügen und tanzten auf dem Deck der Titanic, das sich immer bedenklicher neigte: Die Sechziger mit ihrer Verheißung von freier Liebe und Blumen im Haar waren bereits passé, das Erbe dieser turbulenten Zeit nicht etwa schöne Visionen von Frieden und Rosen, sondern ein gesellschaftlicher Kollaps.
Als ich Dagmars Nummer wählte und nach der Prinzessin fragte, überraschte es mich daher nicht sonderlich, als mir mitgeteilt wurde, »Lady Holman« sei im Salon. Ich hatte ein paar Sätze vorbereitet, als Aufhänger diente mir ein Wohltätigkeitsball zugunsten osteuropäischer Flüchtlinge, den ich organisieren half. Einige Jahre zuvor hatte ich einen ganz erfolgreichen, im Nachkriegsrumänien angesiedelten Roman geschrieben, war natürlich dorthin gereist und nahm seither lebhaften Anteil daran, was in diesem von Wirren gebeutelten Land passierte. Schließlich meldete sich eine weibliche Stimme: »Hallo? Bist du’s wirklich?« Das war die alte unsichere Dagmar, nur noch eine Spur kläglicher. Ich brachte mein Anliegen vor. »Ich soll ein Komitee zusammenstellen und habe sofort an dich gedacht.«
»Warum? «
»Bekäme die gute Sache mit einer osteuropäischen Prinzessin nicht gleich viel mehr Gewicht? Bisher habe ich bloß zwei Schauspieler aus einer Soap-Serie, einen Fernsehkoch, den keiner kennt, und ein paar Matronen vom Verein zum Schutz von Onslow Gardens. «
Sie zögerte. »Ich benutze den Titel eigentlich gar nicht mehr.« Da klang Kummer durch – ein momentaner Anflug von Nostalgie? Oder eine allgemeine Unzufriedenheit mit ihren Lebensumständen?
»Selbst wenn du als Lady Holman auftrittst, weiß jeder, wer du bist.« Das sagt sich so dahin, auch wenn man im Grunde gar nicht daran glaubt.
»Na ja …« Sie schwieg unbeholfen. Ich hatte gehofft, Williams
Erfolg hätte ihr Selbstbewusstsein mit den Jahren gestärkt, aber es schien genau umgekehrt.
»Wie wär’s, wenn wir uns persönlich darüber unterhalten? Nächste Woche bin ich ganz in deiner Nähe. Dürfte ich da bei dir vorbeischauen? «
»Wann denn?«
Wie bei Lucy Dalton witterte ich ein Tier in der Falle, das nach einem Fluchtweg sucht, nach einem Riss im Netz, den ich energisch stopfte: »Das hängt ganz von dir ab. Ich muss etwas in Winchester erledigen und kann mich dabei nach deinem Terminplan richten. Welcher Tag passt dir am besten? Ich würde mich riesig freuen, dich nach so vielen Jahren wiederzusehen.«
Sie war Dame genug, um zu wissen, wann sie sich geschlagen geben musste. »Ja, ich mich auch. Natürlich. Komm
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