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Eine Klasse für sich

Eine Klasse für sich

Titel: Eine Klasse für sich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Fellowes
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doch nächsten Freitag zum Lunch.«
    »Ist William dann auch da?«
    »Ja. Er mag es nicht, wenn ich in seiner Abwesenheit Gäste habe.« Dieser Satz war ihr entschlüpft, bevor sie erfasste, wie viel Hässliches er über die Machtstrukturen in ihrer Ehe verriet. Es war, als hallte ein Echo ihrer Worte durch die Leitung. Nach einem kurzen Schweigen versuchte sie, ihre Äußerung etwas zu entschärfen: »Er wird einfach eifersüchtig, wenn er Leute verpasst, an denen ihm etwas liegt. Ich weiß, dass er dich furchtbar gern wiedersehen würde.«
    »Das würde ich auch gern«, antwortete ich notgedrungen. Falls William uns keinen Moment unter vier Augen gönnte, war mir nicht ganz klar, wie ich meine Mission ausführen sollte, aber daran ließ sich nichts ändern. »Ich bin am Freitag bei euch, kurz vor eins.«
    Bellingham Court war ein richtiger Herrensitz, etwa fünf Meilen von Winchester entfernt, vielleicht einen Tick zu nahe an der Autobahn, aber ansonsten ein echtes elisabethanisches Schloss mit hohen, von Steinsäulen unterteilten Fenstern, Kragsteindecken, vertäfelten Sälen und verwunschenen Korridoren, ein Ort mit gewaltiger Schubkraft für jedes Ego. Als ich durch die makellos gestrichenen Tore in die lange, absolut unkrautfreie Kiesauffahrt einbog, sah ich, dass das Anwesen vor Kurzem von Grund auf renoviert worden war.
Ich parkte auf dem weiten Vorplatz; die breiten, flachen Wasserbassins links und rechts waren mit einem neuen, aufwendig gestalteten Steinrand eingefasst worden. Bevor ich läuten konnte, öffnete mir eine Frau mittleren Alters in vernünftigen Schuhen – die Haushälterin, wie ich richtig vermutete. Sie führte mich hinein.
    Was hier an Geld sichtbar wurde, reichte an Damians Schätze nicht heran. Die Holmans waren nicht superreich im Sinne eines Bill Gates, aber weiß Gott reich genug. In der großen, mattweiß gefliesten Eingangshalle standen einige erlesene Möbelstücke und ein dunkler, wunderbar geschnitzter Ofenschirm, alles aus der Erbauungszeit des Hauses, sechzehntes Jahrhundert. Allerdings beschränkte sich dieser Einrichtungsstil auf die Eingangshalle und einige Stücke in der Bibliothek, wie ich später bemerkte; dem Innenarchitekten war wohl bewusst, dass man Mobiliar aus der Tudorzeit zwar gern bewundert, aber ungern damit lebt. Genau wie in Damians Haus war alles sorgfältig geplant und aus einem Guss, was dem Lebensgefühl des Landadels völlig zuwiderläuft. Dessen Landsitze zeichnen sich durch eine gewisse Wahllosigkeit aus, Gegenstände und Möbel sind bewusst zusammengewürfelt, aus vielen anderen Häusern in einem lässig schicken Durcheinander vereint. Mit viel Zeit und Geld können manche Inneneinrichter diesen Eindruck bewusst erzeugen und ein Haus so gestalten, als würde die erst letzten Sommer eingezogene Familie seit 1650 darin wohnen. Aber hier, in Bellingham, war diese beiläufige, anheimelnde Eleganz nicht erreicht. Das Haus hatte sogar etwas leicht Befremdliches, als wäre es für eine exklusive Gesellschaft aufpoliert worden, zu der ich nicht geladen war. Es hätte mich nicht gewundert, wenn mich jemand aufgefordert hätte, ja nichts zu berühren, weil man ein Foto-Shooting vorbereitet habe. Die Bilder an den Wänden waren fast durchweg Porträts, Ganzfiguren oder Kniestücke, zu stark gereinigt und ein wenig zu glänzend. Sie muteten fremdländisch an, und ich schielte im Vorbeigehen auf die Namensschilder. »Friedrich Franz I., Großherzog von Mecklenburg-Schwerin, 1756 bis 1837« hieß es auf einem, ein anderes verkündete: »Graf Felix Beninghausen genannt Lupitz, 1812 – 1871, und sein Sohn Maximilian. «

    »Du siehst, wir sind in diesem Haus sehr europafreundlich eingestellt. « Ich schrak zusammen und blickte hoch. Am anderen Ende der Eingangshalle stand eine winzige Gestalt, die mehr nach Pfadfinderin bei der jährlichen Sammelaktion aussah als nach ältlicher Prinzessin. Natürlich musste es Dagmar sein, das zeigte sich schon an der Statur, aber in dem Gesicht vor mir fand ich sie zunächst nicht wieder. Ihre inzwischen ergrauten Haare hingen immer noch glatt und strähnig herunter, und auf den zweiten Blick erkannte ich auch ihre immer noch ängstlich bebenden Lippen, aber sonst war vom jungen Mädchen nicht viel übrig geblieben. Ihre Augen waren nach wie vor riesengroß, aber noch viel trauriger, und trotz der luxuriösen Umgebung schien mir, als wäre das Leben rau mit ihr umgesprungen. Wir küssten uns etwas linkisch, tippten wie zwei Fremde

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