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Eine Klasse für sich

Eine Klasse für sich

Titel: Eine Klasse für sich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Fellowes
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trüge er lauter vernünftige Argumente vor. »Die sollten ihre Aufmerksamkeit lieber darauf richten, wo heute die Musik spielt.« Mit einem Schluck beendete er die Debatte. Es war klar, dass eine weitere Diskussion des Themas unerwünscht war.
    Ich wandte mich an Dagmar. »Siehst du das auch so?«
    Sie holte Luft. »Na ja …«
    »Natürlich sieht sie das auch so. Wann gibt’s Essen?« Da erkannte ich, was wirklich hinter Williams Häme steckte. Jahrelang war er als Dagmars Ausrutscher in einem Moment geistiger Umnachtung behandelt worden, als beschämende Mésalliance in der moldauischen Dynastie. Das brauchte er sich nicht länger bieten zu lassen. Die Zeiten hatten sich geändert. Heute war er derjenige mit Geld
und Macht, wie er uns nachdrücklich wissen ließ. Schlimmer noch, nach seinem Triumph konnte er nicht mehr ertragen, dass Dagmar selbst Bedeutung besaß. Ihr Wert durfte sich auf nichts anderes gründen als auf ihre Stellung als seine Frau, es durfte kein Podium geben, wo sie unabhängig von seiner Glorie glänzen konnte. Kurz, er war ein Tyrann. Ich begriff, warum die Begeisterung der Großherzogin sich in Grenzen hielt.
    Das Essen war ein denkwürdiges Erlebnis, bot es doch unendlich viele Möglichkeiten, Dagmar öffentlich zu demütigen. »Was zum Teufel ist denn das?« »Ist der Brandgeschmack Absicht?« »Warum essen wir mit Kinderbesteck?« »Diese Blumen verdienen eine anständige Beerdigung.« »Gehört dazu nicht eine Sauce, oder hast du extra trockenes Fleisch bestellt?« An Dagmars Stelle hätte ich mich vom Stuhl erhoben, ihm die Fleischplatte auf dem Schädel zertrümmert und ihn für immer verlassen. Und das noch vor der Nachspeise. Aber ich wusste nur zu gut, dass diese Art Misshandlung – denn etwas anderes war es nicht – jeden Willen zum Widerstand bricht, und zu meinem Kummer steckte Dagmar seine Schläge einfach ein. Sie bestätigte ihn in seiner Beckmesserei sogar noch, indem sie sich für nicht existente Mängel entschuldigte. »Tut mir leid. Das hätte heißer sein sollen«, sagte sie. Oder: »Du hast recht. Ich hätte anordnen sollen, dass das Fleisch erst scharf angebraten wird.« Meine Geduld endete beim Dessert, als William einen Bissen von den kleinen crêpes Suzette in den Mund schob und ihn gleich zurück auf den Teller spuckte. »Herr im Himmel!«, brüllte er mit ohrenbetäubender Lautstärke. »Was zum Teufel ist denn da drin? Seife?«
    »Ich weiß nicht, was du meinst«, sagte ich bedächtig. »Das ist doch ein Leckerbissen.«
    »Nicht, wo ich herkomme.« Er stieß ein fröhliches Gelächter aus, als würden wir alle in seinen Scherz einstimmen.
    »Und wo kommst du genau her ?«, fragte ich. »Ich hab’s ganz vergessen. « Ich starrte ihn an, einen Moment lang maßen wir uns mit Blicken. Hinter seinem Rücken schaute die Haushälterin rasch zu dem Dienstmädchen hinüber, das beim Servieren geholfen hatte, ob dieser Wortwechsel auch dort angekommen war. Ich sah, wie sich die
beiden stumm zunickten, ja unmerklich zulächelten. Mochte es für das Personal auch unterhaltsam sein mitzuerleben, wie der Tyrann vom Podest gestoßen wurde – was ich getan hatte, war blanker Snobismus und im Grunde ein Eigentor. William lief rot an vor Wut und war nahe daran, mich des Hauses zu verweisen, womit mein Besuch vergeblich gewesen wäre. Zum Glück ließ er sich nicht dazu hinreißen, die Beherrschung zu verlieren; so viel hatte er in den langen Jahren des Verhandelns und Taktierens in der City gelernt. Auch wollte er wohl nicht riskieren, dass die Geschichte in London die Runde machte, herumerzählt von jemandem, der vielleicht bekannter war als er – nicht reicher, nicht erfolgreicher, nur eben ein wenig bekannter. Mein größtes Sakrileg bestand in seinen Augen natürlich nicht darin, dass ich unverschämt zu ihm gewesen war und mich nicht auf seine Seite geschlagen hatte, sondern dass ich seine Frau interessanter fand als ihn und wesensverwandt obendrein. Das war noch schlimmer als meine böse Andeutung, welch weiten Weg er seit unserer letzten Begegnung zurückgelegt hatte. Ich wusste, dass er die Besucher zensierte, die über seine Schwelle kommen durften. So wurde er vermutlich selten, wenn überhaupt, mit Widerspruch konfrontiert und war nicht gewohnt, damit umzugehen.
    Er atmete tief und hörbar durch, legte seine gewissenhaft zerknüllte Serviette auf den Tisch und lächelte. »Leider bin ich auf dem Sprung. Ihr entschuldigt mich bitte?« Ich sah zu meiner Erheiterung,

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