Eine Klasse für sich
das Essen hinstellt«, sagte Bridget ohne die Spur eines Lächelns. Wir ließen es darauf beruhen.
Mein Vater wohnte damals in einem kleinen Dorf namens Abberley, am Rand von Gloucestershire. Er war sechsundachtzig und hatte sich das Dorf nach dem relativ frühen Tod meiner Mutter vor zehn Jahren zum Alterssitz erwählt. Ohne gewichtigen Grund; meine Eltern hatten überwiegend im Ausland gelebt und waren nach der Pensionierung meines Vaters nach Wiltshire gezogen. Aber er wollte wohl eine Veränderung, und unsere Familie hatte in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts in Abberley Park gelebt, ein etwas anmaßender Name für einen großen Kasten ohne architektonischen Reiz, der am Ende der dörflichen Hauptstraße hinter einem gepflasterten Vorplatz lag. Mir bedeutete das Haus wenig, da es zeit meines Lebens ein drittklassiges Hotel gewesen war; wir fuhren ab und zu hin, um dort Mittag zu essen oder Tee zu trinken, und Pa tat ein bisschen nostalgisch. Wahrscheinlich nur, um bei mir Interesse für meine Familiengeschichte zu wecken, aber ich hatte für die melancholische Turgenjew-Atmosphäre dort nichts übrig. Die große, öde Eingangshalle und die beiden düsteren Räume links und rechts, ein Salon und ein Speisesaal, waren hässlich eingerichtet, jede Spur von Privatleben war längst daraus verschwunden. Mein Vater hatte keine Erinnerungen an das Haus, da sein Großvater es schon Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts während der großen Landwirtschaftskrise verkauft hatte. Das Treppenhaus im schwülstigen Neobarock des neunzehnten Jahrhunderts war wohl ganz hübsch, ebenso die dunkel getäfelte Bibliothek, aber die Verwandlung in eine Bar mit allem
Drum und Dran wie kopfüber hängenden Flaschen in silbernen Haltern hatte ihren spröden Charme zerstört. Doch der Großvater, seine Frau und verschiedene andere Familienmitglieder der beiden vorherigen Generationen lagen auf dem Friedhof der Dorfkirche begraben; im Kirchenschiff hingen Gedenktafeln. Ich glaube, das gab meinem Vater ein Zugehörigkeitsgefühl, wie er es anderswo nie gehabt hatte.
Sein Leben in Abberley war angenehm, aber natürlich etwas traurig wie das Leben aller alleinstehenden alten Männer – alte Damen tun sich da leichter. Eine Mrs. Snow führte ihm den Haushalt; sie war einigermaßen höflich, kochte ihm täglich ein Mittagessen und ging wieder, wenn alles abgewaschen und aufgeräumt war. Sie stellte meinem Vater auch ein Abendessen in den Kühlschrank, ein einschüchterndes, mit Frischhaltefolie abgedecktes Sortiment von Schüsseln mit Klebezetteln, auf denen genaue Anweisungen standen, wie »zwanzig Minuten kochen«, »Backofen auf Stufe 5 vorheizen, eine halbe Stunde garen«. Ich habe nie ganz durchschaut, wozu das alles, da Mrs. Snow keine besonders gute Köchin war; ihr Repertoire beschränkte sich auf die typischen Kindergerichte der Fünfzigerjahre. Mein Vater hätte sich im Supermarkt mit Delikatessen eindecken können, die schneller und einfacher zuzubereiten waren und dazu noch besser schmeckten. Inzwischen ist er gestorben, und ich vermisse ihn jeden Tag; rückblickend glaube ich, dass er die Prozedur genoss, alles diszipliniert auszupacken und sich Mrs. Snows eisernem Willen zu fügen. Das muss einen recht großen Teil des Abends eingenommen haben und damit ein echter Zeitvertreib für ihn gewesen sein.
Als ich ihn besuchte, bereitete Mrs. Snow gerade unser Mittagessen zu, aber er erklärte bereits beim Eingießen zweier sehr trockener Sherrys, dass sie uns gleich nach dem Servieren des Desserts verlassen werde. Mit anderen Worten, sie würde den Abwasch nicht mehr erledigen. »Dann haben wir die Bude für uns«, brummte er, als er in seinem eiskalten, ungemütlichen Wohnzimmer auf einen Sessel zusteuerte. Warum sehen manche Häuser zwanzig Jahre nach dem Umzug immer noch so aus, als hätten die Möbelpacker gerade das Mobiliar abgeladen? In diesem Haus, seinem letzten, hatte mein Vater
einige Räume genauso eingerichtet wie meine Mutter früher, aber für das kleine Wohnzimmer mit seinem unregelmäßigen Grundriss fehlte ihm wohl das Vorbild, und so wartete es mit seinen cremefarbenen Wänden und den planlos zusammengewürfelten Möbeln auf eine Inspiration, die nie mehr kommen würde.
»Gut«, antwortete ich, weil das anscheinend von mir erwartet wurde.
Er nickte knapp. »Ist auch besser so.« Äußerste Verschwiegenheit war ihm im lang jährigen diplomatischen Dienst zur zweiten Natur geworden, darüber hinaus
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