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Eine Klasse für sich

Eine Klasse für sich

Titel: Eine Klasse für sich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Fellowes
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teilte er das übliche Vorurteil seiner Klasse, Gespräche über Geld hätten außerhalb einer Bank oder eines Maklerbüros nichts zu suchen, mit zwei Ausnahmen: erstens die Klärung des Nettowerts und der Aussichten eines künftigen Schwiegersohns und zweitens die Erörterung des eigenen Testaments. Da meine Schwester seit Langem verheiratet war, tippte ich sofort auf Letzteres. Und lag damit richtig.
    Wir hatten uns bei einem faden, praktisch salzfreien Shepherd’s Pie halbherzig über die neuesten Familienereignisse unterhalten und blickten nun starr auf einen wenig verlockenden Pflaumenkuchen mit Vanillesoße, als sich Mrs. Snow in Mantel und Hut zur Tür hereinbeugte. »Ich gehe jetzt«, verkündete sie. »Ich habe den Kaffee in die Bibliothek gebracht, Sir David, lassen Sie ihn nicht kalt werden. « Daraufhin verzog mein Vater das Gesicht zu einer Art Zwinkern, womit er andeuten wollte, dass wie bei allen einsamen alten Menschen, die einen Dienstboten beschäftigen, die Beziehung gefährlich familiär zu werden drohte, und dankte mit einem Nicken. Kaum war die Haustür ins Schloss gefallen, legte er los.
    »Ich hatte letztens einen Schwindelanfall und war beim alten Babbage. Er hat ein paar Untersuchungen gemacht, und es sieht so aus, als ob es mit mir langsam zu Ende ginge.«
    »Ich dachte, du wärst der Meinung, man sollte Babbage die Zulassung entziehen.«
    »Nie im Leben habe ich so etwas geäußert!«
    »Du hast gesagt, er sei nicht einmal in der Lage, eine Schusswunde zu diagnostizieren.«

    »So?« Das schien meinen Vater zu erheitern. »Mag sein. Aber das ändert nichts an den Tatsachen. Ich bin schon seit einer Weile nicht mehr ganz auf der Höhe, und es wird nicht mehr lange dauern. «
    »Was hat er denn genau gesagt?«
    »Damit möchte ich dich nicht behelligen.«
    »Ich bin zweieinviertel Stunden gefahren. Da verdiene ich eine genau Auskunft.«
    Aber er konnte nicht aus seiner Haut. »Ach, die Rede war von Blut irgendwo, wo es nicht sein soll. Ekelhaftes Zeug, das ich nicht bei Tisch ausbreiten will.« Dagegen konnte ich schlecht etwas einwenden, und so wartete ich, bis er auf das eigentliche Thema zusteuerte. »Jedenfalls wurde mir klar, dass wir beide noch nie so richtig über alles gesprochen haben.«
    Merkwürdige Sache, der Tod. Scheint er doch alle vorausgangenen Jahre ad absurdum zu führen. Da würde mein Vater also bald sterben, wahrscheinlich an Krebs, und was für eine Bedeutung hatte sein Leben nun gehabt? Wozu das Ganze? Er hatte nach den Maßstäben seiner Generation ziemlich hart gearbeitet, in einem anderen, vernünftigeren Rhythmus als wir heute: später Beginn, ausgedehnter Lunch und um halb sieben Rückkehr nach Hause. Auch so hatte er sein Bestes gegeben, die Welt bereist und in grässlichen Hotels übernachtet, hatte langweilige Sitzungen über sich ergehen lassen, die Lügen der Staatsoberhäupter und die düsteren, unhaltbaren Prophezeiungen der Experten, hatte unzählige belanglose Berichte durchgeackert und getan, als nähme er die lächerlichen, verlogenen Stellungnahmen ernst, die Regierungssprecher im Namen ihrer unfähigen Minister abgaben … und wozu das alles? Er hatte kein Geld. Nicht, was meine Mutter »richtiges Geld« genannt hätte. Dieses Haus, ein paar Aktien, ein, zwei schöne Erbstücke von seinen Vorfahren, die besser gelebt hatten als er, eine Pension, die mit ihm versiegen würde. Meine Schwester und ich hatten eine gute Ausbildung genossen, was meine Eltern finanziell mit Sicherheit zurückgeworfen hatte, aber Louise hatte nichts daraus gemacht, sondern einen überaus durchschnittlichen Börsianer geheiratet und drei Kinder großgezogen,
deren geistige Trägheit schon ans Geniale grenzte, während ich …
    »Ich möchte, dass du Bescheid weißt und mir sagst, wenn du etwas unnötig kompliziert findest. Du bist nämlich der Testamentsvollstrecker und musst dich damit herumärgern, wenn Blödsinn drinsteht. «
    Ich nickte. Meine Gedanken wollten sich jedoch nicht zum Schweigen bringen lassen. Der arme alte Kerl. Wahrscheinlich hatte er ein gutes Leben gehabt. Das würde man jedenfalls auf seiner Beerdigung sagen. Stimmte das denn? War sein Leben gut gewesen? Hatte es ihm genügt? Gegen Kriegsende hatte er meine Mutter kennengelernt, die im Auswärtigen Amt arbeitete. Als Vorbereitung für die Wiederaufnahme seiner diplomatischen Laufbahn arbeitete er an den Vereinbarungen über Polen und anderen Ländern mit, wo die Briten letztlich falsche Entscheidungen

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