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Eine Klasse für sich

Eine Klasse für sich

Titel: Eine Klasse für sich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Fellowes
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Dank. Für den Fall, dass sie diese Episode und mich aber doch aus ihrem Gedächtnis gelöscht hatten, wollte ich mich erst recht bedeckt halten. Ein Albtraum, wenn Tarquin vor anderen mit meinen Beziehungen zur Familie angäbe, was ihm durchaus zuzutrauen war, und mich dann keiner mehr kannte! Das klingt vielleicht nach Eitelkeit. Es war Eitelkeit. Gepaart mit dem Widerwillen, meine Träume dem Tageslicht auszusetzen. Zwar hatte meine
Verbindung zu den Greshams mit einer Katastrophe geendet, aber ich wiegte mich gern in der Illusion, dass nicht nur sie für mich einmal überaus wichtig waren, sondern auch ich in ihrem Leben eine gewisse Rolle gespielt hatte. Mein Verstand hielt das zwar für unwahrscheinlich, dennoch hatte ich mir diese Wunschvorstellung bewahrt und wollte sie am Ende des Abends auch unversehrt mit nach Hause nehmen. Die Greshams wären ohnehin nicht da. Je länger ich darüber nachdachte, desto sicherer war ich mir. Sie waren bestimmt in London oder auf Reisen, auf alle Fälle weit weg, wenn Einheimische und Kleinadel ihren Grund und Boden stürmten. »Oh, schaut mal«, sagte Jennifer. Das Haus kam in Sicht, herrschaftlich über den terrassierten Gärten und dem Tal thronend und – eine Neuerung – angestrahlt von Scheinwerfern, die in den Sträuchern platziert waren. Ihr Licht verlieh der kühlen grauen Steinfassade in der Abenddämmerung eine fast ätherische Schönheit.
    »Was für ein prächtiges Schloss«, sagte Bridget. »Wie heißt es denn?«
    »Gresham Abbey«, antwortete Tarquin, als wäre der Name sein Privateigentum, das er nur ungern der Allgemeinheit überließ.
    »Gehört es dem National Trust?«
    »Nein. Es ist immer noch in Privatbesitz. Gehört Lord und Lady Claremont. «
    »Sind die nett?«
    Er zögerte. »Ziemlich.« Was natürlich hieß, dass er sie nicht kannte. »Sie sind recht alt. Gehen nicht mehr viel unter die Leute. « Die Vorstellung von Lady Claremont als »recht alt« befremdete mich. In meinen jungen Jahren hatte ich sie als eine einschüchternde, dynamische, wenn auch grundsätzlich wohlwollende Persönlichkeit erlebt, elegant, frisch, stets kompetent, stets charmant, aber mit einem Rückgrat aus Stahl. Sie hatte mich natürlich nicht groß beachtet, wenn ich als Randfigur auf ihren Gesellschaften auftauchte, gehorsam den mir zugewiesenen Platz einnahm, meist bei den Jüngsten am unteren Ende des Tischs, mich beim Essen zuvorkommend mit meinen Nachbarn unterhielt, mit den alten Verwandten durch die Gärten spazierte, beim Dorffest Unnützes
kaufte, das ich nicht haben wollte, oder in der Bibliothek herumschmökerte.
    Ich erinnere mich, wie sie einmal hereinkam, als ich im zunehmenden Dunkel mit zusammengekniffenen Augen auf eine Buchseite starrte. Sie lachte, und ich blickte auf, als sie mit einem einzigen Schalter alle Lampen im Raum anknipste. »Nur keine Angst – Sie dürfen sich ruhig Licht machen!«, sagte sie mit einem raschen Lächeln und ging weiter ihren Beschäftigungen nach. Ich fühlte mich so gedemütigt, dass ich ein Prickeln im Rücken spürte, wo mir vor Verlegenheit der Schweiß herunterrann. Vermutlich hatte ich mich wirklich nicht getraut, das Licht anzuschalten, oder hoffte, ein anderer würde mir zuvorkommen, damit ich es nicht auf meine Kappe nehmen müsste. Aber wie gesagt war sie niemals unfreundlich und schien sich auch nie zu ärgern, dass ich immer wieder bei ihnen auftauchte. Sie hatte einfach kein Interesse an mir.
    Als wir uns dem Haus näherten, wurden wir von den üblichen fröhlichen Gärtnern und Gutsarbeitern begrüßt, die uns mit Taschenlampen auf eine große Wiese dirigierten. Die unzähligen Reihen geparkter Autos gaben uns eine Vorstellung von der Größe der Veranstaltung. »Schaut euch das an«, sagte Bridget, »in Yorkshire ist heute Abend sonst wohl nicht viel los.«
    »Ihr werdet feststellen, dass die musikalischen Darbietungen von sehr hohem Niveau sind«, sagte Tarquin im Tonfall einer alternden Erdkundelehrerin, was unserer guten Laune kurz einen kleinen Dämpfer versetzte. Wir parkten und luden die umfangreiche Ausrüstung fürs Picknick aus. Tarquin hatte bereits die Verantwortung für einen grässlichen Flaschenträger aus Plastik übernommen und stakste eilends auf das Tor zu, das zu den Festivitäten führte. Wir näherten uns Gresham Abbey nicht von vorn, sondern gelangten durch das Tor in dem hübschen Eisenzaun direkt in den Park, der hinter dem Herrensitz in Terrassen bis zum See im Tal hinunterführte. Als

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