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Eine Klasse für sich

Eine Klasse für sich

Titel: Eine Klasse für sich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Fellowes
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haben. Ob ich in meiner jugendlichen Unsicherheit seine Wichtigtuerei für Wissen hielt und seine Herablassung für anregende Unterweisung. Oder ob es mit den Jahren schlimmer wurde.«
    »Ich vermute Letzteres«, sagte ich. »Nicht einmal die blinde und
taube Helen Keller hätte ihn geheiratet, wenn er so gewesen wäre wie jetzt.«
    Wieder lachte sie, aber kläglich. »Ich wünschte, wir hätten Kinder bekommen«, sagte sie, bemerkte dann aber meinen Blick. »Ich weiß. Alle halten das für die Lösung sämtlicher Probleme, aber das ist wohl ein Irrtum.«
    »Mich brauchst du nicht zu fragen. Ich bin der bedauernswerte alte Junggeselle, der es nie geschafft hat, sich zu binden.«
    »Es hätte ihm vielleicht Halt gegeben. Diesen Funken Unsterblichkeit, den Kinder einem schenken. Wenn er nur einmal einen durchschlagenden Erfolg errungen hätte. Aber dazu hat es leider nie gereicht.«
    »Für einen Versager lebt er aber sehr gut.«
    Sie schüttelte den Kopf. »Alles geerbt.«
    Das überraschte mich. »Wirklich? Ich hätte nicht gedacht, dass er mit einem silbernen Löffel im Mund zur Welt gekommen ist.«
    Sie wusste, was ich meinte, und nahm es mir nicht übel. »Altes Geld ist das nicht. Diese Verwandtschaft mit den Montagus ist völlig aus der Luft gegriffen. Wir heißen gar nicht so. Sein Vater ist 1956 aus Ungarn gekommen, nach dem Aufstand. Er hat als Lastwagenfahrer angefangen und ein Transportunternehmen aufgebaut, das er in den Neunzigerjahren verkauft hat. Tarquin ist sein einziges Kind. Er war ein wunderbarer Mann, ich hatte ihn sehr gern. Aber Tarquin hat ihn immer versteckt, keiner unserer Freunde durfte ihn kennenlernen. Jetzt will er allen weismachen, das Geld stamme aus einem alten Vermögen, das er durch eigene Erfolge gemehrt habe. Alles frei erfunden. Aber das wusstest du wohl ohnehin.«
    Dies zuzugeben wäre mir arrogant und selbstgefällig vorgekommen. »Ziemlich romantische Wunschbilder jedenfalls.«
    »Die sich aber nicht mehr lange werden halten können.« Sie seufzte müde beim Gedanken an den bevorstehenden Zusammenbruch. »Das Ganze kostet viel mehr, als wir beide uns vorgestellt haben, und es kommt sehr wenig herein, weil alles im Haus steckt. Ich schreibe meine Bücher, damit wir wenigstens etwas zu essen haben und mal ins Theater gehen können, aber ich bin nicht sicher, wie lange
uns das noch über Wasser hält. Als Architekt ist Tarquin eine Katastrophe. Er bekommt vereinzelt Aufträge, wenn ein Architekturbüro zusätzliche Hilfe benötigt, aber niemand fragt ihn, ob er bleiben will. «
    »Würdest du das denn tun?«
    Diesmal lachte sie richtig herzhaft. »Vielleicht liegt es ja daran. Vielleicht ist er als Architekt ganz toll und nur als Kollege unerträglich. «
    »Was habt ihr vor?«
    Ihr Lachen erstarb. »Keine Ahnung. Jeder meint, ich solle mich von ihm trennen, allen voran meine Mutter. Hätte uns das jemand vor zwanzig Jahren prophezeit, hätten wir’s nie geglaubt. Aber das Seltsame ist, dass ich ihn irgendwie immer noch liebe. Du hältst mich sicher für verrückt. Ich sehe ja, wie er alle nervt, wie er die Leute herumkommandiert, Eindruck schinden und Bewunderung erregen will. Gleichzeitig weiß ich, wie unsicher, verwirrt und verängstigt er innerlich ist. Er merkt, dass seine Strategien nicht funktionieren, begreift aber nicht, warum. Niemand kommt uns mehr besuchen. «
    »Außer uns.«
    »Außer so gutmütigen Trotteln wie ihr. Und hier will uns niemand kennen. Ich habe schon Leute die Augen verdrehen sehen, wenn wir einen Raum betreten. Irgendwie habe ich das Gefühl, ich kann ihn nicht einfach den Hyänen ausliefern, wo doch jeder außer ihm selbst sofort sieht, wie schutzlos er ist.«
    Mir fällt oft auf, dass die Liebe wie alles im Leben die unterschiedlichste Gestalt annehmen kann; trotzdem staune ich immer wieder über ihre Erscheinungsformen. »Ich halte dich nicht für verrückt. Das ist eben dein Leben«, sagte ich.
    »Genau. Und es ist kein Kinderspiel, sondern bitterer Ernst. Auch wenn ich letzten Endes nicht viel bewirke, bleibt es doch eine Tatsache, dass ich Tarquin zum Mann genommen habe. Dazu hat mich niemand gezwungen, und nun muss ich es eben durchstehen. Das klingt wohl sehr nach Trivialroman.«
    »Das klingt sehr nach einer grundanständigen Frau.«
    Sie wurde rot, und in diesem Moment kehrte Bridget zu uns zurück.
»Bitte kommt. Wenn er nicht aufhört, mich vollzuquatschen, was für einen fantastischen Wein wir gleich trinken werden, dann hau ich ihm die

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