Eine Klasse für sich
dunkel werden konnte, also hatten wir Zeit genug. So würden wir das Haus wie alle normalen Leute durch den Vordereingang betreten und unsere Gastgeber nicht hinterrücks überfallen.
Als wir dort ankamen, war ich froh über meine Entscheidung, denn mit uns trafen zahlreiche weitere Gäste ein. Dies hatten die Claremonts klug eingefädelt, denn so konnten sie etliche Ortsansässige begrüßen, die ein Anrecht auf eine solche Ehrung zu haben meinten, ohne alle zum Dinner einladen zu müssen. Die Eingangshalle von Schloss Gresham war hoch und geräumig; eine Säulenreihe trennte ein quadratisches Entree ab, hinter dem sich eine anmutige Freitreppe mit so flachen Stufen erhob, dass eine Frau in langer Abendgarderobe darauf herunterzuschweben schien, als berührten ihre Füße kaum den Boden. Für die Männer war die Treppe weniger angenehm, da sie ihrem Ziel mit jedem Schritt nur etwa zwei Fingerbreit näher kamen, doch die Damen schienen zu gleiten, ja zu fliegen, ein ans Magische grenzender Anblick, wie ich mich gut erinnerte.
Die Porträts für die Eingangshalle waren von Lady Claremont persönlich ausgesucht worden, als sie und ihr Mann 1967, kurz vor meinem ersten Besuch, das Haus übernahmen; in einer großen Aktion hängte sie damals sämtliche Bilder um. Wie sie freimütig gestand, wählte sie allein und schamlos nach Schönheit aus; taub für alle empörten Aufschreie von Lord Claremonts Tanten, verbannte sie die viktorianischen Politikereminenzen im Leichenbestatterfrack, die furchteinflößenden, rotgesichtigen, stoppelbärtigen Offiziere aus der Regency-Zeit, die gerissenen Staatsmänner aus der Tudorzeit mit den verschlagenen Augen und dem habgierigen Mund und überhaupt alle hässlichen Familienmitglieder in Vorzimmer, Korridore und Gästezimmer, ausgenommen die Bilder wirklich berühmter Maler, die sie in der Bibliothek und im großen Speisesaal präsentierte,
in einschüchternden Doppelreihen auf dem scharlachroten Damast der Wandbespannung. Die letzteren beiden Räume, hatte mir Lady Claremont damals erklärt, seien eher maskulin und sollten deshalb eindrucksvoll, aber nicht unbedingt gefällig wirken. In der Eingangshalle jedoch gab es bezaubernde Kinder aus allen Epochen, dazwischen ein paar gut aussehende, nervöse junge Männer, porträtiert nach ihrem Abschluss in Eton, mit gespannter Erwartung in die vielversprechende Zukunft blickend; daneben lächelten außerordentlich hübsche Gresham-Töchter auf ihre Bewunderer herab, gemalt anlässlich ihrer Verlobung mit anderen Adelsgrößen oder für eine Serie von Hofschönheiten, auf Wunsch von König Charles II. oder des Prinzregenten. Die schimmernden Goldrahmen kamen auf den apricotfarbenen, kunstvoll mit Stuck in Weiß – und Grauschattierungen verzierten Wänden gut zur Geltung. In der Mitte des Raums hing ein riesiger Kronleuchter wie ein Schauer aus glitzernden Tropfen, unter dem Blick der Schneekönigin mitten im Fall zu Eis erstarrt.
»Prachtvoll«, sagte Jennifer, blickte sich um und erntete dafür von ihrem Mann einen strengen Blick, dessen Botschaft ich sofort begriff: Was immer verraten könnte, dass sie hier nicht regelmäßig zu Gast waren, hatte zu unterbleiben. Auch Jennifer begriff das, hatte aber offenbar die interessante Entscheidung getroffen, sein wichtigtuerisches Gehabe nicht mitzumachen. Bridget zog sich, wie sollte es anders sein, in ein stumm-ironisches Schmollen zurück, aber ich hatte keine Zeit, mich mit ihr abzugeben. Ich war, was ich nie für möglich gehalten hätte, wieder in Gresham und hatte fest vor, es auch zu genießen.
Der Gobelin-Salon befand sich an der Ecke der Gartenseite und war am einfachsten durch ein ovales Vorzimmer am Ende der Eingangshalle zu erreichen, aus dem zwei gegenüberliegende Türen links in den Speisesaal und rechts zu unserem Ziel führten. Besagter Salon war ein überaus reizvoller Raum: Die Wände waren mit taubenblauem Moiré ausgeschlagen, der untere Wandbereich mit cremeweißen, goldgerahmten Paneelen getäfelt. Die Türeinfassungen mit den Supraporte-Gemälden führten das Cremeweiß und Gold bis zur Decke hoch. An den riesigen blauen Flächen hing eine Reihe von Gobelins, auf denen
die Siege des Herzogs von Marlborough dargestellt waren. Zu unseren Füßen lag ein hinreißender Aubussonteppich mit den typischen leichten Unebenheiten; darauf standen einige großartige Möbelstücke. Das spektakulärste war eine über zwei Meter hohe Standuhr, deren Uhrkasten mit Intarsien und Gold
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