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Eine Klasse für sich

Eine Klasse für sich

Titel: Eine Klasse für sich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Fellowes
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Tarquin sah, welche Menschenmassen hier bereits lagerten, beschloss er erst recht, ein schönes Plätzchen zu ergattern, und war bald außer Sichtweite, so dass wir anderen uns mit dem Rest der Ausrüstung abkämpfen mussten. Bridget folgte ihm mit diversen Decken und Kissen,
Jennifer und ich schleppten zu zweit die riesige weiße Kühlbox. Wir stolperten über die Grasbüschel bis zum Tor.
    »Können wir einen Moment haltmachen?«, bat Jennifer. Die Box war ziemlich schwer, und die Seilgriffe schnitten in unsere zarten Schriftstellerhände. Wir lehnten uns kurz ans Geländer. In der Ferne hörten wir das Gemurmel und Gelächter der Menge, und aus verborgenen Lautsprechern kam Musik, Elgar oder Mahler, jedenfalls etwas, woran britische Ohren keinen Anstoß nehmen. Jennifer brach das Schweigen. »Ich glaube, wir haben bis neun Uhr Zeit zum Essen, dann beginnt das Konzert.« Ich nickte. »Sehr nett von dir, zu kommen«, setzte sie mit echter Dankbarkeit hinzu. »Wir hatten ein solches Treffen ja immer vor, aber ich habe nie geglaubt, dass mal etwas daraus wird. Ich weiß euren Besuch sehr zu schätzen.«
    »Unsinn. Wir genießen die Tage bei euch sehr.« Natürlich war es kein Unsinn, und wir genossen die Tage überhaupt nicht. Aber wie erwähnt mochte ich Jennifer sehr gern. Eine Lesereise hat etwas Entsetzliches, man fühlt sich so verwundbar, wenn das eigene Buch, das man vermarkten soll, dem Urteil der Öffentlichkeit ausgesetzt wird wie ein missgestaltetes Spartanerbaby den Grausamkeiten auf dem Berg Taigetos. Wer noch nie eine solche Prozedur mitgemacht hat, kann sich schwer vorstellen, welche Bande da zwischen den Leidensgenossen entstehen. Wie zwischen den Überlebenden in einem Rettungsboot vermutlich. Verkaufen gehört zur heutigen Welt, und ein Produkt will an den Mann gebracht werden. Wenn man nicht gerade ein Naturtalent ist, macht das bei Gott keinen Spaß. Jennifer kam wie ich aus einer Welt, in der alles, was mit Verkaufen zu tun hat, größtes Unbehagen auslöst. Auch übers Kaufen wird nicht groß geredet, aber professionelles oder schlimmer noch persönliches Vermarkten gilt geradezu als Schande. Dieses Vorurteil zeigt sich in vielen spitzen, verletzenden Bemerkungen. »Du warst doch letztens im Fernsehen, bei diesem Typen, der kein R aussprechen kann. Normalerweise schaue ich mir die Sendung nie an, aber das Au-pair-Mädchen hat sie eingeschaltet.« Oder: »Ich hab im Autoradio gehört, wie dieser schlecht gelaunte Kritiker dein Buch zerpflückt hat. Schlimm.« Oder: »Wieso zum Teufel treibst du dich in einer Nachmittagssendung
rum? Hast du nichts Besseres zu tun?« Man hört sich das an in dem Bewusstsein, dass durch diese Nachmittagssendung mehr Bücher verkauft werden als durch jedes Plakat, durch jede Werbekampagne und dass man unglaubliches Glück hatte, dorthin eingeladen zu werden.
    Das möchte man solchen Krittlern natürlich wahnsinnig gern entgegenschleudern. Oder wenigstens, sie sollen endlich erwachsen werden oder sich lieber gleich begraben lassen, oder zumindest zur Kenntnis nehmen, dass die Fünfzigerjahre längst vorbei sind. Aber das tut man nicht. Meine Mutter hätte gesagt: »Die sind doch bloß neidisch, mein Schatz.« Vielleicht stimmt das sogar, auch wenn sie es selber gar nicht merken. Aber auch ich bin neidisch. Darauf, dass die Art ihres Broterwerbs ihnen nie abverlangt, sich als Schießbudenfigur hinzustellen, pro Schuss ein Shilling – so fühlt man sich meistens dabei. Wirklich verstanden aber wird man nur von Menschen, die dasselbe durchgemacht haben. Und das verband mich mit Jennifer. Wir hatten beide als Autoren eher mäßige, nie im Voraus garantierte Erfolge. Ich schätzte ihre Freundschaft sehr und wollte ihr mit unserem Besuch eine Freude machen, weil ich bemerkt hatte, dass ihr wirklich viel daran lag. Erst glaubte ich, sie hätte mich aus Freundschaft so bekniet. Aber langsam ahnte ich, dass nur wenige Leute Lust auf einen Besuch bei ihnen hatten, und wer einmal da gewesen war, kam nie wieder, außer er wollte sich Geld leihen. Und die Wochenenden, die sie allein mit Tarquin verbrachte, wurden für sie wohl langsam unerträglich.
    »Ist er immer so?«, fragte ich. Die Aufrichtigkeit, mit der sie mir für meinen Besuch dankte, verdiente ein paar klare Worte, auch wenn ich befürchtete, ich wäre mit dieser Frage doch zu weit gegangen.
    Aber sie lächelte. »Nicht, wenn er schläft.« Sie lachte ironisch. »Ich weiß nicht, ob er schon so war, als wir geheiratet

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