Eine Klasse für sich
tatsächlich kannte, und schien sich angeregt zu unterhalten, und Bridget gab sich überfordert und schmollte vor sich hin. So war ich im Grunde wieder allein mit mir und dem Schauplatz meiner früheren Leiden.
Mit dem Glas in der Hand schob ich mich nickend und lächelnd durch die Massen in das ovale Vorzimmer zurück. Wir hatten es bei unserer Ankunft nur rasch durchquert, aber ich erinnerte mich, dass es ein hübscher Raum war, nicht groß, aber erlesen und einladend, die Sofas mit einem hellen Chintz bezogen, voller Licht und femininer Utensilien. In diesem Haus diente es als Damenzimmer, und an einer Wand stand Lady Claremonts Schreibtisch, ein mit schönen Schnitzereien verzierte bureau plat , übersät mit Papieren, Briefen und Listen. Ich betrachtete müßig eine Serie kleiner flämischer Bilder, eine Darstellung der fünf Sinne, etwa um 1650 gemalt von David Teniers dem Jüngeren. Ich hatte sie immer bewundert und begrüßte sie nun wie alte Freunde. Wie fein die Maltechnik, wie winzig die Details – und wie seltsam, dass seit dem Trocknen der Farbe nicht nur eine oder zwei, sondern zwölf Generationen zur Welt gekommen waren, Pläne geschmiedet, Träumen nachgehangen, Enttäuschungen bewältigt und das Zeitliche gesegnet hatten. Ich ging zu den Türen hinüber, die in den Speisesaal führten. Sie waren geschlossen, aber ich drehte am Griff, drückte einen Türflügel auf und schreckte ein Dienstmädchen auf, das gerade den Tisch fertig deckte. »Mehr als vierzehn Leute zum Frühstück?«, fragte ich und lächelte zum Zeichen, dass ich in friedlicher Absicht gekommen war.
Die junge Frau entspannte sich und antwortete in breitem Yorkshiredialekt: »Wir sind neunzehn morgen. Die beiden Damen nicht mitgerechnet, die im Bett bleiben.«
»Ich erinnere mich, dass für weniger als vierzehn Personen das Frühstück im kleinen Esszimmer serviert wurde. Bei mehr Gästen wurde hier gedeckt.«
Ich hatte mir ihre Aufmerksamkeit gesichert. Sie wurde richtig neugierig und sah mich prüfend an. »Waren Sie auch mal zu Gast hier?«
»Ja, früher. Irgendwie beruhigend, dass sich nichts geändert hat.«
Das empfand ich wirklich so. Es beruhigte mich, dass hier, auf dieser abgelegenen Insel in meinem Leben, vieles noch genauso war wie immer, während sich anderswo fast alles verändert hatte. Das entpuppte sich als Illusion: Später erfuhr ich, dass diese Güter in den Siebzigerjahren wie das ganze Land einen Niedergang erlebt hatten und erst ab Mitte der Achtzigerjahre ein neuer, fähiger Verwalter das Ruder erfolgreich herumreißen konnte.
Viele Familien, mit denen ich vor ihren Krisenzeiten Umgang pflegte, können auf eine ähnliche Erfolgsgeschichte zurückblicken, aber nicht alle. Leider haben sich landauf, landab viele reiche, aber ignorante Aristokraten aus reiner Geltungssucht in Projekte gestürzt, von denen sie keine Ahnung hatten, und unsinnige Investitionen getätigt. Hier haben sich die Frauen oft als die Vernünftigeren erwiesen, sind sie doch ohnehin pragmatischer veranlagt und haben kein so großes Bedürfnis, »Geschäftssinn« zu demonstrieren. Lady Claremont jedenfalls hätte ihren heiß geliebten Gatten nie ans Ruder oder auch nur in dessen Nähe gelassen, wenn es darum ging, die Geschicke des Gresham’schen Erbes zu lenken.
»Mummy hätte das nicht sagen sollen. Ich hoffe, sie hat dich damit nicht aus dem Salon vertrieben.« Ihre Stimme warf mich immer noch um. »Falls du tatsächlich ein bisschen in mich verliebt gewesen sein solltest, dann fühle ich mich extrem geschmeichelt.« Dass Serena hier war und auch noch ganz in meiner Nähe, war eine große Freude, aber dass sie die Flachserei ihrer Mutter mitbekommen hatte, ein Albtraum, und so wandte ich mich ihr mit sehr gemischten Gefühlen zu. Sie stand in der Mitte des Vorzimmers und betrachtete mich durch die offene Speisesaaltür.
»Damals hatte ich immer gehofft, es würde niemand bemerken.«
»Hab ich anfangs auch nicht.«
»Erst in Portugal.«
»Schon vorher. Aber was soll’s.« Wenig überraschend, dass sie nicht näher darauf eingehen wollte. »Natürlich hat mir Mummy später erzählt, dass sie es schon bei deinem ersten Besuch wusste, aber Mütter haben vermutlich besondere Antennen für solche Dinge.«
»Deine jedenfalls.« Wir lächelten beide. »Es war nett von ihr,
dass sie Estoril mit keinem Wort erwähnt hat. Damals habe ich deine Eltern das letzte Mal gesehen.«
»Wirklich?«
»Hin und wieder ganz flüchtig, bei einem
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