Eine Koelner Karriere
Mittagessen die Lichtgeschwindigkeit zu überschreiten. Markesch schloß resignierend die Augen und meditierte über Archimedes’ dubiose Renovierungspläne, bis die Fahrt in der üblichen Orgie aus quietschenden Bremsen, rauchenden Reifen und knirschendem Getriebe vor dem festungsähnlich gesicherten Autoklau-Depot endete. Eine Videokamera beobachtete ihn mißtrauisch, als er zur Panzerglaskabine des Pförtners stiefelte und ohne Umschweife sein entführtes Auto zurückforderte. Aber als der Beamte hörte, um welches Fahrzeug es sich handelte, lachte er nur häßlich durch die Gegensprechanlage und schüttelte über soviel Naivität erschüttert den Kopf.
»Da sind Sie hier völlig falsch«, meinte er. »Am besten versuchen Sie’s mal auf dem Autofriedhof.«
»Was wollen Sie damit sagen?«
»Ich will damit sagen, daß Ihre Rostlaube umgehend aus dem Verkehr gezogen wurde.« Der Beamte grinste grausam. »Erstens war die TÜV-Plakette abgelaufen und zweitens …«
»Sie meinen, ich muß zum TÜV?«
Das Grinsen des Beamten wurde noch um eine Spur grausamer. »Nicht zum TÜV – zum Autofriedhof. Ihr Wagen hat sich beim Abschleppen in seine Einzelteile aufgelöst: Stoßstange, Auspuff, Kotflügel, alles war völlig durchgerostet und fiel auf die Straße. Tscha, und das hat dann zu diesem kleinen Unfall mit dem Dreißig-Tonner-Diesel geführt …« Er sah, wie sich Markeschs Gesicht veränderte, und fügte beruhigend hinzu: »Keine Sorge, dem Fahrer des Abschleppwagens ist nichts passiert.«
»Zum Henker mit dem Fahrer! Was ist mit meinem Ford?«
»Lassen Sie es mich mal so ausdrücken: Wenn Sie ’ne Flunder wären oder ’ne Sardine, dann wäre Ihr Ford das ideale Auto für Sie. Aber so taugt er gerade noch für die Schrottpresse.« Der Beamte grinste und grinste, als wollte er sich als Kandidat für einen Hannibal-Lecter-Double-Wettbewerb qualifizieren. »Die Abschleppkosten werden Ihnen natürlich trotzdem in Rechnung gestellt. Von den Bußgeldern wegen unerlaubten Betriebs eines Kraftfahrzeugs und fahrlässiger Herbeiführung eines schweren Unfalls ganz zu schweigen …«
Markesch schnappte nach Luft. »Das ist ein Scherz, nicht wahr? Klar ist es ein Scherz. Es muß einer sein. Denn wenn es keiner ist, wird irgend jemand dafür bezahlen müssen, und Gott steh mir bei, ich werde es nicht sein!«
»Lassen Sie Gott aus dem Spiel«, quäkte es unbeeindruckt aus der Gegensprechanlage. »Wenn Ihnen überhaupt noch jemand helfen kann, dann ein guter Anwalt, doch selbst das ist fraglich.«
Markesch murmelte einen Fluch, wirbelte herum und humpelte wütend davon. Jesus Christus, dachte er, was ist nur aus dieser Stadt geworden? Ein Irrenhaus, in dem keiner weiß, wer die Wärter sind und wer die Kranken. Und das Schlimmste ist: jeder hält sich für normal.
Er erreichte den Barbarossaplatz und wollte soeben bei McDonald’s einkehren, um sich mit einigen Cheeseburgern den Tag endgültig zu verderben, als ein Taxi heranbrauste und mit quietschenden Reifen an seiner Seite hielt. Die Beifahrertür wurde aufgestoßen, und Einstein Junior grinste ihm entgegen.
»He, Mann, was ist los? Ich dachte, Sie wollten Ihr Auto abholen.«
»Ich habe es mir anders überlegt«, sagte er und stieg resignierend ein. »Warum autofahren, wenn man fliegen kann?«
Einstein Junior lachte und ließ übermütig den Motor aufheulen. Markesch schloß ergeben die Augen und spürte, wie das Taxi abhob, um nur wenige Sekunden später vor dem Café Regenbogen zu landen.
»Hier ist meine Nummer«, sagte Einstein Junior beim Abschied und drückte ihm eine Karte in die Hand. »Sie können mich Tag und Nacht erreichen. Okay, Mann?«
»Sie ahnen gar nicht, wie sehr mich das beruhigt.«
Das Café hatte sich inzwischen gefüllt. An den Tischen verteilt, wie Schiffbrüchige, die es auf die Inseln eines gastronomischen Archipels verschlagen hatte, saßen einzelne junge Leute mit rosigen Gesichtern und traurigen Augen, vielleicht Soziologiestudenten von der nahegelegenen Universität, die Feldstudien über die soziale Vereinsamung in der Masse betrieben. Bedient wurden sie von der Tageskellnerin Sophie, die ganz in Weiß gekleidet war und magisch lächelnd durch das Lokal tänzelte, als wäre dies der Tag ihrer alchimistischen Hochzeit. Von Archimedes war nichts zu sehen; wahrscheinlich suchte er bereits in den Pressearchiven nach Informationen über die Feinde von Walter Kress.
Markesch humpelte zum Tresen, nahm seine Privatflasche Scotch und ein
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