Eine Koelner Karriere
ihn gerade diese Furcht zu dem Plan mit den Pornofotos verleitet … »Sie sollen nicht damit rechnen, daß Ihnen jemand bei Ihren Recherchen hilft, junger Mann«, fuhr Schrattner schwer atmend fort. »Er hat viele Feinde, sicher, aber die meisten haben zuviel zu verlieren.«
»Was ist mit Ihnen?«
»Mit mir? Sehen Sie mich an! Ich bin todkrank. Lungenkrebs im Endstadium, nicht mehr operabel. Mein Arzt gibt mir noch ein paar Monate, im besten Fall ein halbes Jahr. Die kurze Zeit, die mir noch bleibt, will ich in Frieden verbringen, hier in meinem Garten.«
»Es stört Sie nicht, daß Kress ungeschoren davonkommt?«
»Stören?« Schrattner beugte sich nach vorn, gestikulierte matt mit einer knochigen Hand. »Ich hasse den Gedanken. Ich könnte vor Wut schreien, hätte ich die Kraft dazu. Am liebsten würde ich ihn eigenhändig aus dem Rathaus werfen.« Erschöpft sank er zurück. »Aber ich vertraue der Gerechtigkeit. Nicht der menschlichen, sondern der göttlichen. Kress wird nicht ungeschoren davonkommen, verlassen Sie sich drauf. Eines Tages wird ihn sein Schicksal ereilen. Weil er selbst dafür sorgen wird, daß ihn die gerechte Strafe trifft. Ein Mann wie Kress, der andere Menschen nur mißbraucht, übervorteilt, hintergeht, der die Öffentlichkeit täuscht und betrügt, ein solcher Mann richtet sich selbst. Früher oder später wird das Unrecht, das er begangen hat, auf ihn selbst zurückschlagen.«
Markesch sah ihn scharf an. Sprach aus Schrattner die Abgeklärtheit des Philosophen, der an der Schwelle des Todes stand, oder wußte er doch mehr, als er zugeben wollte?
»Sie haben nicht nach dem belastenden Material gefragt, das ich über Kress gefunden habe«, sagte er bedächtig. »Interessiert es Sie nicht?«
»Was kann es schon sein?« entgegnete Schrattner mit brüchiger Stimme. »Nur noch mehr Schmutz, aber das Leben ist zu kostbar, um es mit Schmutz zu vergeuden. Es gibt wichtigere Dinge, bedeutendere Dinge.« Seine Augenlieder flatterten, fielen zu. Seine Lippen zuckten. »Aber Sie sind zu jung, zu gesund, um das zu verstehen, was ich …«
Seine Worte verloren sich in einem unverständlichen Gemurmel, sein Kopf sank zur Seite. Er atmete flach und röchelnd, aber regelmäßig. Markesch sah zur Villa hinüber. Über den Kiesweg näherte sich die massige Gestalt der Krankenschwester. Die Viertelstunde war um. Er stand auf.
»Nur noch eine Frage«, sagte er zu Schrattner. »Glauben Sie, daß auch Corinne von Bohlen Angst vor Walter Kress hat?«
Die Lider des Kranken öffneten sich nur zu einem schmalen Spalt, doch sein Blick war plötzlich klar und durchdringend. »Ah, Corinne von Bohlen«, flüsterte er. »Ob sie Angst hat? Sie hat nichts mehr zu verlieren, junger Mann. Wovor sollte sie noch Angst haben?«
Wenn Leo Schrattners Garten in Hahnwald die Vorstufe zum Paradies gewesen war, dann war Corinne von Bohlens Ehrenfelder Mansardenwohnung die Vorstufe zur Unterwelt. Es waren nicht so sehr die tiefhängenden, schrägen Decken, die verwinkelten Zimmer oder die zugezogenen Vorhänge, die in Markesch das Gefühl hervorriefen, lebendig begraben zu sein. Auch nicht die Tatsache, daß die kleine Wohnung ein Übermaß an schweren, dunklen Möbeln beherbergte und bis an die Grenze zur Klaustrophobie mit Krimskrams und Nippes vollgestopft war.
Die eigentliche Bedrückung, das Gefühl, sich in einem Mausoleum zu befinden, ging von den schwarzgerahmten Fotos aus, mit denen die Wände geradezu getäfelt waren, wie tausend Fenster in die Vergangenheit. Die meisten Fotos waren Portraits eines feingliedrigen, hochstirnigen Mannes, bei dem es sich nur um Ludwig von Bohlen handeln konnte, raffinierte Studien in harten Schwarzweißkontrasten, aber es gab auch eine Reihe Farbaufnahmen ohne jeden künstlerischen Wert, die ihn zusammen mit seiner Frau oder Freunden zeigten, Schnappschüsse aus dem banalen Alltagsleben und Ablichtungen vergangener Urlaubsfreuden, auf Devotionalienformat vergrößert.
Markesch starrte die Fotos an.
Natürlich, sie hatten nichts gemein mit den pornographischen Lichtbildern aus Astrid Pankraths Hospital D’Amour, und wahrscheinlich war es nur die schiere Menge, die ihn irritierte. Aber trotzdem …
»Mein Mann«, sagte Corinne von Bohlen überflüssigerweise und strich mit der Hand über den Rahmen eines Portraits, das fast wie ein Schattenspiel war. »Übermorgen jährt sich sein Todestag.«
»Haben Sie die Fotos gemacht?« fragte er heiser.
Sie nickte.
»Der Stil gefällt
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