Eine Koelner Karriere
mir. Sie haben Talent.« Es war die Wahrheit; sie hatte tatsächlich Talent. »Gibt es neuere Arbeiten von Ihnen?«
»Ich fotografiere nicht mehr, schon lange nicht mehr. Ich habe seit einem Jahr keine Kamera mehr angefaßt, seit Ludwigs Tod.« Sie verzog die Lippen, als wollte sie sich ein Lächeln abringen, aber es verblaßte, ehe es ihr schmales Gesicht aufleuchten lassen konnte. »Es kommt mir nicht richtig vor. Wie ein Verrat. Ich meine, nachdem ich ihn so oft …«
Sie verstummte.
Lächelte dann doch, aber hilflos und fahl, ein Schattenlächeln.
Es rührte ihn. Trotz der Tatsache, daß er sich Rührung in seinem Job nicht leisten konnte. Unwirsch riß er sich zusammen und sagte laut: »Überlegen Sie es sich. Talente sollte man nicht verschwenden. Sie sind zu kostbar.«
»Ich werde nicht mehr fotografieren«, sagte sie mit der Schärfe und Endgültigkeit eines Fallbeils. »Nie wieder.«
Die Luft im Zimmer war stickig, muffig, als wären die Fenster schon seit Jahren nicht mehr geöffnet worden, und im Dämmerlicht, das durch die dicken Vorhänge sickerte, wirkten die toten Fotografien vitaler als die lebende Frau. Sie trug das traditionelle Schwarz der Witwen, ein elegant-dezentes Kostüm, das ihre gute Figur und die vollen Brüste auf unaufdringliche Weise zur Geltung brachte. Die Haare waren ebenfalls schwarz, aber zweifellos gefärbt, da an den Wurzeln ein Ansatz von Kupferrot aufschimmerte. Ihr Gesicht war blaß wie das Lächeln, das um ihren Kirschmund gefroren war, während sie ihn ansah, von unten herauf, mit großen, blanken Augen, ausdruckslos.
Sie war der Typ Frau, der in jedem Mann sofort archaische Schutzinstinkte weckte, vielleicht ein Überbleibsel aus der Eiszeit, in der haarige Wilde ihre Frauen gegen noch haarigere Konkurrenten verteidigen mußten. Markesch kämpfte nur mit Mühe den Drang nieder, sie in die Arme zu nehmen, sein Gesicht in ihrem duftigen Haar zu vergraben.
Die Macht des Frühlings, dachte er. Keiner bleibt von ihm verschont.
Er zwang sich, den Blick von ihr zu lösen, sich auf die Fotos zu konzentrieren, auf den Verdacht, der so nahe lag … zu nahe. In Köln mußte es Zehntausende von Hobbyfotografen geben. Der Besitz einer Kamera oder die Leidenschaft fürs Fotografieren war kein Beweis dafür, daß Corinne von Bohlen hinter der Pornofotofalle steckte.
Obwohl sie natürlich überzeugende Motive hatte.
Verdammt überzeugende Motive.
»Nehmen Sie doch Platz«, sagte sie.
Er ging durch die Stille, die so lastend war wie die Luft, das Dämmerlicht, und wollte sich soeben in einem bequemen Lehnsessel am Fenster niederlassen, als ihn ihre Stimme wie ein Peitschenschlag traf.
»Nicht!«
Er zuckte zusammen, erstarrte mitten in der Bewegung. In seinem Nacken kribbelte es. Er sah sie entgeistert an.
»Ich meine, nicht dort«, fügte sie hastig hinzu. »Er … er war Ludwigs Lieblingssessel. Er ist es immer noch.« Wieder dieses hilflose, fahle Schattenlächeln. »Manchmal sehe ich ihn dort sitzen. Manchmal höre ich sogar, wie er spricht …« Sie brach ab. Röte dunkelte ihre blassen Wangen. »Es tut mir leid. Sie müssen mich für töricht halten.«
Das Kribbeln in seinem Nacken hielt an. Er wich vom Fenster zurück, setzte sich auf einen anderen Stuhl und drehte ihn so, daß er dem Sessel halb den Rücken zuwandte.
»Ich verstehe das«, log er. »Sie müssen sich nicht entschuldigen.«
Aber das Kribbeln im Nacken wurde stärker und kroch langsam über seinen Rücken. Aus den Augenwinkeln glaubte er zu sehen, wie sich die Luft über dem Lehnsessel verdichtete und zu einem Schatten gerann, dem Schatten eines feingliedrigen, hochstirnigen Mannes, als hätte sich Ludwig von Bohlen in diesem Moment entschlossen, die Worte seiner Witwe zu bestätigen und aus dem Grab zurückzukehren, um Ehrenfeld in das zu verwandeln, was es nach Meinung vieler Kölner ohnehin schon war: Zombie City am Rhein.
Großartig, dachte er verdrossen. Die Toten verlassen die Gräber, und ich bin natürlich dabei. Wenn ich Sophie davon erzähle, wird sie begeistert sein.
Von draußen, durch die Doppelglasfenster und die schweren Vorhänge fast bis zur Unhörbarkeit gedämpft, drang der Verkehrslärm, der Tag und Nacht vom quirligen Ehrenfeldgürtel hochbrandete. Draußen wartete das Leben, aber hier drinnen gab es nur Erinnerung, Vergangenheit, Tod.
Er räusperte sich, besann sich auf die Rolle, die er spielte, die Rolle des Journalisten, der an einer Enthüllungsstory über Walter Kress und
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