Eine Krone für Alexander (German Edition)
Leichen“, bemerkte
einer der Veteranen zu Alexander, „aber ihr werdet euch schnell daran gewöhnen.
Das haben wir alle. Irgendwann bemerkt man es gar nicht mehr.“
Am nächsten Morgen, sobald die Asche abgekühlt war, wurden
die verkohlten Knochenreste gesammelt, gereinigt und in tönerne Urnen gefüllt.
Der Qualmgeruch blieb noch tagelang in allen Ecken und Ritzen hängen, dann
verflüchtigte er sich allmählich. Die weinenden und klagenden Gefangenen wurden
von Sklavenhändlern fortgeschleppt, und das Lagerleben normalisierte sich
wieder. Zur Feier des Sieges ließ der König sportliche Spiele abhalten. Dies verschaffte
den Soldaten eine Atempause und ein wenig dringend benötigte Abwechslung. Für
die Königsjungen gab es eigene Wettkämpfe, an denen Alexander und Hephaistion
jedoch nicht teilnehmen durften. Außerdem hatten sie noch eine Zeit lang
verschiedene Strafdienste zu absolvieren, doch damit hatte es sich dann auch.
Perilaos behandelte sie danach wie immer, und Alexander wusste das zu schätzen.
Die Überreste der thrakischen Festung wurden abgerissen,
denn an ihrer Stelle sollte eine neue Stadt gebaut werden. Landvermesser
steckten das Terrain ab und markierten mit Kreide die Stadtgrenzen, die
Hauptstraßen, die Agora und die Lage der städtischen Einrichtungen. Dann
brachte der König die obligatorischen Opfer dar, für die zwölf olympischen
Götter und eine lokale Gottheit, eine Nymphe namens Kabyle – sie sollte die
Ehre haben, zur Schutzgöttin der neuen Stadt zu avancieren. Aristandros, der
oberste Zeichendeuter, konsultierte die Eingeweide der geopferten Tiere und verkündete,
Kabyle werde gedeihen und sich zum führenden Zentrum in der Region entwickeln,
zu einem funkelnden Juwel im Kranz der aufstrebenden Städte Thrakiens.
„Ich wette, die Vorzeichen fallen in solchen Fällen immer günstig aus“, vermutete Harpalos, als die Menge sich
nach der Zeremonie zerstreute und die Königsjungen ihren Unterkünften
zustrebten.
„Natürlich tun sie das.“ Ihre Köpfe fuhren herum. Niemand
hatte Aristandros’ Kommen bemerkt, und doch war er plötzlich mitten unter
ihnen. Er war weiß gekleidet, trug seine Seherbinde um den Kopf und dazu noch
den Kranz von der Opferzeremonie. Er schritt zügig aus und benutzte seinen
Seherstab wie einen Wanderstock.
Sobald sie sich von der Überraschung erholt hatten, fragte
Harpalos: „Mal ganz im Ernst: Hat es bei solchen Opfern jemals ein schlechtes
Vorzeichen gegeben?“
„Wahrscheinlich nicht.“
„Dann weißt du also in Wirklichkeit gar nicht, was aus der
neuen Stadt wird?“, fragte Hephaistion.
Salbungsvoll erklärte Aristandros: „Es besteht kein Zweifel,
dass Kabyle sich zur führenden Stadt in diesem Teil Thrakiens entwickeln wird.
Sie wird dazu beitragen, den Ruhm des Königs noch in den Generationen nach uns
zu sichern.“ Dabei steckte er seine Nase in die Luft, zog die buschigen Brauen
hoch und sah unter gesenkten Augenlidern würdevoll auf sein Publikum herab.
„Wenn die Vorzeichen grundsätzlich nur positiv ausfallen,
dann können es keine echten Prophezeiungen sein“, empörte sich Alexander.
„Alexander, sei nicht so naiv“, meinte Harpalos mit sarkastischem
Grinsen. „Du weißt doch, was Aristoteles über Hokuspokus gesagt hat.“
„Mit Hokuspokus hat das nichts zu tun“, beteuerte Aristandros.
„Die Gründung einer neuen Stadt ist eine ernste Angelegenheit. Die Menschen,
die sich hier niederlassen werden, gehen ein großes Wagnis ein, sie lassen ihre
Heimat, ihre Familien, ihre Vergangenheit hinter sich und beginnen ein neues
Leben. Glaubt ihr nicht, dass sie jede Form von Ermutigung brauchen können?
Warum also sollten die Götter sie mit ungünstigen Vorzeichen erschrecken? Nein,
die Götter sind praktisch denkende Wesen. Sie wissen, was angebracht ist.“
Angesichts dieser Unverfrorenheit verschlug es Alexander die
Sprache. Plötzlich blinzelte Aristandros ihm zu. Es ging so schnell, dass er
fast glaubte, sich geirrt zu haben. Völlig perplex blieb er stehen, seine
Freunde liefen auf ihn auf, während der Zeichendeuter weiterging und sich zügig
entfernte.
„So ein alter Gauner!“, schimpfte Harpalos.
Ohne sich umzudrehen rief Aristandros: „Das habe ich gehört!“
„Wie konnte er das auf die Entfernung hören?“, flüsterte Hephaistion.
Aristandros wandte sich um,
schwenkte seinen Stab und rief: „Wir Seher können nicht nur in die Zukunft
sehen, wir haben auch sehr empfindliche Ohren!“
Nicht lange
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