Eine Krone für Alexander (German Edition)
Akademie bald einen neuen Leiter wählen. Willst du nicht
kandidieren?“
Aristoteles schüttelte den Kopf. „Speusippos will, dass Xenokrates
sein Nachfolger wird, die Wahl ist nur noch eine Formalität. Vielleicht gehe
ich eines Tages nach Athen zurück, aber meine Zeit an der Akademie liegt hinter
mir. Vorerst werde ich in Pella bleiben und meinen Studien nachgehen. Für den
Fall, dass du etwas wissen willst oder vielleicht einen Rat brauchst, stehe ich
dir jederzeit zur Verfügung.“
„Danke für das Angebot, ich komme gern darauf zurück, wenn
ich aus Thrakien zurück bin. Oder von wo auch immer – wer weiß, was mein Vater
noch alles vorhat.“ Alexander begann, die Schriftrolle wieder aufzuwickeln.
„Auf jeden Fall werde ich Gelegenheit bekommen zu zeigen, dass ich ein würdiger
Erbe bin.“
Aristoteles’ Gesicht war nachdenklich geworden. „Darf ich
dir eine Frage stellen?“
„Ja?“
„Wie wichtig ist es für dich, einmal König zu werden?“
Alexander starrte ihn überrascht an. „Warum fragst du das?
Mein Vater hat dich doch eigens kommen lassen, damit du mich zu einem König erziehst,
oder?“
Trocken erwiderte Aristoteles: „Ich dachte eigentlich, ich
sollte dich zu einem Menschen erziehen, dich und die anderen Jungen. Zu einem
mündigen und reifen Bürger, der sich selbst kennt und in der Lage ist, an allen
Bereichen des öffentlichen Lebens teilzunehmen. Das ist nicht nur für Könige
von Bedeutung, obwohl ich zugebe, dass es das für sie besonders ist. Aber
zurück zu meiner Frage: Wie wichtig ist es für dich, König zu werden?“
Alexander sah Aristoteles nach wie vor verständnislos an.
Seit er denken konnte, schienen alle Menschen, die er kannte, davon auszugehen,
dass er einmal König werden würde. Die Gedanken seiner Mutter kreisten ständig
darum; alles, was er sagte oder tat, wurde unter diesem Gesichtspunkt
betrachtet. Man ließ ihm selten Gelegenheit, das zu vergessen, und er selbst
wäre niemals auf den Gedanken gekommen, es infrage zu stellen. Ein wenig ungeduldig
sagte er: „Ich kann mir nichts anderes vorstellen.“
„Warum?“, bohrte Aristoteles weiter.
„Ich bin der Sohn des Königs.“
„Könige haben viele Söhne, und nicht alle können selbst
König werden.“
„Im Moment bin ich der einzige, der für die Thronfolge in
Betracht kommt.“ Alexander lachte freudlos. „Außerdem habe ich ohnehin keine
andere Wahl. Wenn ich nicht König werde, werde ich wahrscheinlich umgebracht.“
Aristoteles seufzte. „Das ist gewiss ein nicht zu
ignorierender Aspekt, aber nicht der, um den es mir im Moment geht. Ich wollte
nicht wissen, ob du meinst, aus äußerlichen Gründen unbedingt König werden zu
müssen, sondern ob du selbst es willst.“
„Würde das nicht jeder?“, fragte Alexander, keineswegs ausweichend,
ihm fehlte vielmehr tatsächlich das Verständnis für die Frage.
„Ich glaube, es gibt viele Leute, die sich nicht darum
reißen würden, König zu sein, aber um sie geht es nicht. Es geht um dich. Wenn
du die Wahl hättest, und wenn du wüsstest, du wirst nicht gleich umgebracht, sofern
du nicht König wirst: Würdest du es trotzdem wirklich wollen?“
„Ja“, antwortete Alexander mit absoluter Entschlossenheit.
„Während der Zeit als Regent ist mir endgültig klar geworden, dass es für mich
nichts anderes gibt. Dass das meine Bestimmung ist.“
Aristoteles sah ihn nachdenklich an. „Und wenn du dafür gewisse
Dinge tun müsstest, Dinge, die dir nicht gefallen?“
Alexander zuckte die Achseln. „Könige müssen ihre Pflicht
erfüllen, ob es ihnen gefällt oder nicht. Das gilt auch für Soldaten und
Beamte, ebenso für Bauern und Handwerker und andere einfache Leute, sogar für
Frauen. Im Grunde für jeden Menschen.“
„Das meine ich nicht. Könige sind manchmal zu Handlungen
gezwungen, die nach konventionellen Maßstäben als verwerflich gelten. Du kennst
die Geschichte deiner Familie. Ein Herrscher ist ständig bedroht, viele neiden
ihm seine Macht. So mancher ist nur auf den Thron gelangt, weil er alle
Konkurrenten gnadenlos ausgeschaltet hat. Auch dein Vater musste sich gegen
mehrere Rivalen durchsetzen, darunter seine eigenen Halbbrüder.“ Aristoteles
sah Alexander prüfend an. „Was ist mit dir? Würdest du ebenso weit gehen?
Würdest du den unglücklichen Arrhidaios aus dem Weg räumen? Oder Amyntas? Oder
wer immer dir den Thron streitig machen will? Wärest du bereit, über Leichen zu
gehen, um König zu sein und es zu
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