Eine Krone für Alexander (German Edition)
bleiben?“
„Gut, dass sich die Frage für mich nicht stellt, nicht
wahr?“, sagte Alexander langsam und schob die Buchrolle zurück in ihr Futteral.
„Mein Vater hat mich als seinen Erben anerkannt. Ich werde keine Zweifel aufkommen
lassen, dass seine Entscheidung richtig war.“
„Davon bin ich überzeugt.“ In Aristoteles’ Gesicht zeichnete
sich tiefe Nachdenklichkeit ab, gemischt mit einer Spur Mitgefühl. „Aber
vielleicht wird einmal der Tag kommen, an dem du mit dieser Frage konfrontiert
wirst. An dem du entscheiden musst, wie wichtig es dir ist, König zu sein. Und
welchen Preis du dafür zu zahlen bereit bist.“
Der Löwe von Chaironeia
1
Die Stadt lag auf einer felsigen Halbinsel, die schroff ins
Meer vorsprang, und ihre Mauern glänzten im Sonnenlicht hell wie Kreide. Fast
ein ganzes Jahr war Perinthos nun von seinem Hinterland abgeschnitten, und doch
hielt die Stadt noch immer der Belagerung stand, denn über ihren Hafen wurde
sie weiterhin mit Nachschub versorgt. Der König hatte Parmenion hier zurückgelassen,
um die Belagerung aufrechtzuerhalten, während er selbst mit dem Großteil seiner
Truppen mittlerweile vor Byzantion lag.
Philotas, Parmenions ältester Sohn, nahm die Königsjungen
mit auf einen Ritt um die Anlagen, die Perinthos auf der Landseite abriegelten,
und berichtete ihnen ausführlich von den zurückliegenden Kämpfen. Während er
sprach, entstand vor Alexanders innerem Auge ein lebhaft bewegtes Bild –
Scharen von Angreifern brandeten gegen die Wälle, trugen Leitern herbei,
lehnten sie gegen die Mauern und kletterten dann waffenschwingend hinauf. Ein
Bild, das in merkwürdigem Gegensatz zu dem stand, was er tatsächlich vor sich
sah. Die Belagerer hatten sich in sicherer Entfernung von den Mauern
verschanzt, sie machten es sich beim Würfelspiel oder mit schlichtem Nichtstun
gemütlich, während die Sonne vom blauen Himmel auf sie herabschien und die Zikaden
im Gras zirpten. Überall standen Belagerungsmaschinen in unterschiedlichen
Stadien des Verrottens herum. Die Szenerie wirkte idyllisch und verschlafen.
Alexander sagte etwas in diesem Sinne zu Philotas, der auf der Stelle rot
anlief.
„Was erwartest du? Monatelang hat der König Perinthos
bestürmen lassen, zum Schluss sogar Tag und Nacht, und trotzdem konnte er die
Stadt nicht einnehmen. Und da meckerst du, dass mein Vater es mit viel weniger
Leuten auch nicht schafft?“
„Reg dich nicht auf“, versuchte Hektor seinen älteren Bruder
zu besänftigen; Philotas war schon immer empfindlich und aufbrausend gewesen.
„Niemand kritisiert Vater.“
Alexander zeigte auf einen Belagerungsturm, nicht weit entfernt
von ihnen. „Wer hat diesen Turm gebaut?“
„Ach, irgendein Ingenieur“, erwiderte Philotas lustlos.
Alexander stieß Bukephalos die Fersen in die Flanken und
ritt hinüber. Der Turm war von beeindruckender Höhe. Seine Aufbauten ruhten auf
einer Plattform, unter die massive Räder montiert waren. Alexander stieg ab und
inspizierte das Innere der Konstruktion, wo hölzerne Leitern nach oben führten.
Alles sah zweckmäßig und stabil aus.
„Ich wusste gar nicht, dass diese Türme so hoch sind“, meinte
Hephaistion, während er an dem Ungetüm hochsah. „Ein tolles Ding!“
Proteas dagegen zeigte sich nicht im Geringsten beeindruckt.
„Was soll an so einem Turm schon Besonderes sein?“
„Du hast völlig recht“, sagte eine Stimme zu Hephaistion.
„Dieser Turm ist ein Wunderwerk der modernen Technik!“
Die Stimme gehörte zu einem Mann, der gerade unter der
Plattform hervorkroch. Er war nachlässig gekleidet und schmutzig von der Arbeit
unter dem Turm, auf seiner Wange prangte ein großer Ölschmierer. Als Alexander wieder
aus dem Turminneren zum Vorschein kam, stellte der Mann sich vor.
„Ich bin Diades, ein Schüler von Polyeidos und der
verantwortliche Ingenieur vor Perinthos.“ Mit sichtlichem Stolz klopfte er
gegen das Holz des Turms. „Den hier habe ich gebaut. Er ist dreißig Ellen hoch,
höher als ursprünglich die Mauern von Perinthos.“
„Und warum hat uns dein Wunderturm dann nicht geholfen, die
Stadt einzunehmen?“, ätzte Philotas.
Diades zuckte mit den Achseln. „Weil die Perinthier einfach
ihre Mauern aufgestockt haben. Wenn wir den Turm noch höher machen, gerät er
bei der kleinsten Unebenheit des Untergrundes gefährlich ins Schwanken. Deshalb
suche ich nach einer Möglichkeit, das Räderwerk gängiger zu machen, damit es
beim Fahren nicht mehr so
Weitere Kostenlose Bücher