Eine Krone für Alexander (German Edition)
sofort, dass er etwas Falsches gesagt hatte,
und fügte eilig hinzu: „Und natürlich auch über Achilleus, deinen Vorfahren.“
„Herakles!“, schnaubte Olympias verächtlich. Sie warf ihm
einen Seitenblick zu. „Weißt du, was er getan hat?“
„Er hat eine Seeschlange mit neun Köpfen besiegt“, legte er
los, „den Löwen von Nemea, den Eber vom Berg Erymanthos, menschenfressende …“
„Er hat seine eigenen Kinder getötet!“
„Was?“ Fassungslos starrte er zu ihr auf.
„Das wusstest du wohl noch nicht? Aber es ist wahr. Er hat
sie mit seinem Bogen erschossen.“
Den Rest des Weges redeten sie nichts mehr.
Als sie im heiligen Bezirk angekommen waren, erklärte der
Priester dort: „Normalerweise darf außer mir und den anderen Priestern niemand
in den Tempel. Für den Jungen mache ich eine Ausnahme, weil er der Sohn des
Königs ist. Aber er soll sich benehmen! Kein Geschrei und Gequengel!“
„Mein Sohn weiß, wie man sich an heiligen Orten verhält“,
erwiderte Olympias kalt.
Der Priester schloss die Tür auf und machte Anstalten hineinzugehen,
doch Olympias verstellte ihm den Weg. „Wir gehen allein.“
„Das geht nicht.“
„Ich habe gesagt: Wir gehen allein!“, wiederholte Olympias
etwas lauter und fixierte den Priester mit eisigem Blick, bis er zur Seite sah.
Sie traten ein in das kühle Dunkel des Tempels. Zwischen den
Säulen, die das Mittelschiff flankierten, standen bronzene Feuerbecken auf
Dreifüßen und erhellten die Dunkelheit. Alexander blieb stehen, überwältigt von
dem Anblick, der sich ihm bot. Unwillkürlich fasste er nach der Hand seiner
Mutter und sah mit weit geöffneten Augen zu dem Götterbild am anderen Ende der
Halle.
Zeus saß hoch aufgerichtet auf seinem Thron.
Langsam gingen sie auf den Gott zu, ohne ihn aus den Augen
zu lassen, bis sie Hand in Hand vor dem Sockel standen. Alexander legte den
Kopf in den Nacken und blickte zu Zeus auf. Dieses Götterbild hatte wenig Ähnlichkeit
mit dem der Artemis, das er einst gesehen hatte. Es bestand nicht aus Holz,
sondern aus Bronze und war so kunstvoll, dass der Gott fast lebendig wirkte,
nur dass er größer war als jeder Mensch und weitaus Ehrfurcht gebietender. Zeus
hielt einen Blitz in der Rechten und trug ein faltenreiches Himation, das zur
Hälfte seine Brust bedeckte. Der Blitz und das Gewand waren vergoldet, ebenso
Haare und Bart. Die blauen Augen schienen zu leuchten, doch sie sahen Alexander
nicht an. Das strenge, erhabene Gesicht blickte über ihn hinweg in die Ferne.
Olympias hob die Arme und rief: „Zeus Olympios, der
Weithindonnernde, der Blitzeschleuderer und Wolkensammler, der Vater der Götter
und Menschen!“
Ihre Stimme hallte wieder in der Weite des Raumes und brach
sich zwischen den Säulen. Als die Worte verklungen waren, fasste sie wieder
nach Alexanders Hand und beugte sich zu ihm, ohne die Augen vom Bild des Gottes
lösen.
„Spürst du seine Anwesenheit?“, flüsterte sie.
Er nickte stumm, zu überwältigt, um sprechen zu können. Er
fühlte, dass Zeus wirklich hier war, hier in diesem Raum, er spürte die
Gegenwart des Gottes so deutlich wie die seiner Mutter, die neben ihm stand.
„Fühlst du das Band zwischen ihm und dir?“
Fragend sah er zu ihr auf.
„Ein ganz besonderes Band. Nur zwischen dem Gott und dir.“
„Was ist das für ein Band?“, fragte er, neugierig geworden.
Olympias strich ihm durch die Haare. Sie lächelte geheimnisvoll
und schwieg.
„Ich will es wissen.“
„Du bist noch zu klein. Eines
Tages werde ich dir die Wahrheit sagen.“
„Herakles wusste nicht, dass es seine Kinder waren“,
erklärte Leonidas, als sie in aller Frühe am Ufer des Sees entlangmarschierten.
In der Nacht hatte es geregnet, und der Regen hatte für Abkühlung
gesorgt. Im Osten, wo die Stadt lag, stieg gerade die Sonne über die Dächer,
doch das andere Ufer lag noch in Dunkelheit. Vom See stieg ein Schwarm von
Vögeln auf und flog kreischend über das Wasser Richtung Süden, zum Meer.
Alexander hatte zwei Tage gebraucht, bis er sich dazu durchgerungen
hatte, Leonidas zu fragen. Kleitos wäre ihm lieber gewesen, als bewährter
Fachmann für alle Fragen, die Herakles betrafen, doch seit Alexander in
Leonidas’ Obhut stand, bekam er kaum noch jemand anderen zu Gesicht. Sein neuer
Erzieher beanspruchte seine gesamte Zeit.
„Hera steckte dahinter“, fuhr Leonidas fort. „Du weißt doch,
dass sie schon immer eifersüchtig auf Herakles war, oder?“
„Ja, denn er war ein
Weitere Kostenlose Bücher