Eine Krone für Alexander (German Edition)
erlaubte Leonidas ihm gelegentlich, sie ohne seine Begleitung
zu besuchen. An diesem Tag allerdings wusste sie gar nichts von ihrem Glück.
Stattdessen wartete Proteas am vereinbarten Treffpunkt, zusammen mit einem
anderen Jungen im gleichen Alter.
„Das ist Attalos“, erklärte er.
„Was will der denn hier?“, protestierte Attalos und musterte
Alexander kritisch. Er schien nicht zu wissen, wen er vor sich hatte. „Ich
dachte, wir gehen zu zweit.“
„Ich komme mit“, sagte Alexander kurz und bündig.
Zu dritt machten sie sich auf den Weg in die Stadt. Sie
stromerten durch die Straßen, über die Agora, den großen Marktplatz, und durch
die umliegenden Säulenhallen, sahen den Handwerkern bei der Arbeit zu und
bestaunten die Waren in den Läden, bis einer der Händler sie wegjagte. Alexander
interessierte sich besonders für einen Schmied, der in seiner Werkstatt Messer
und Beile anfertigte. Eine Zeit lang sahen sie ihm dabei zu, wie er mit dem Fuß
einen rotierenden Wetzstein antrieb und die Klinge eines Messers schliff.
Schließlich fragte Alexander den Mann, ob er auch Waffen für die Armee
herstellte.
Der Schmied starrte ihn mit großen Augen an. Proteas wiederholte
die Frage, in dem breiten Dialekt, den auch Lanika und Kleitos meistens benutzten,
nicht in der gepflegten Hochsprache, in der Alexander gesprochen hatte. Diesmal
verstand der Mann; er antwortete im gleichen Dialekt, dass die Armee eigene
Schmiede habe.
„Warum hat er mich nicht verstanden?“, fragte Alexander, als
sie weitergingen.
„Manche Leute können eben kein Griechisch.“
„Wie kann man denn kein Griechisch können?“
Proteas zuckte die Achseln. „Die einfachen Leute, besonders
die auf dem Land, verstehen nur Makedonisch.“
„Wo kommst du denn her, dass du das nicht weißt?“, fragte
Attalos. Offenbar hatte er noch immer keinen Schimmer, mit wem er es zu tun
hatte, und Proteas amüsierte sich köstlich. Zu Alexanders Entschuldigung sagte
er: „Er wohnt im Palast und kriegt nicht viel von draußen mit.“
Sie kamen wieder bei dem Händler vorbei, der sie zuvor fortgejagt
hatte. An seinem Stand stapelten sich Amphoren verschiedenster Formen und
Größen, und Alexander wollte gerade fragen, was sie enthielten.
„Ihr schon wieder!“, brüllte der Händler. „Ich hab euch doch
gesagt, ihr sollt verschwinden!“
„Wir tun doch gar nichts!“, sagte Alexander.
„Zumindest noch nicht“, meinte
Proteas mit verwegenem Grinsen, während seine große Zehe sich einer Amphore in
der untersten Reihe näherte.
„Proteas, lass den Unsinn!“, warnte Attalos.
Der Händler kam drohend hinter seinem Stand hervor, als
Proteas aus dem Gedränge hinter ihm einen Rempler abbekam. Der Amphorenberg
begann bedenklich zu schwanken. Sie warteten das weitere Geschehen nicht ab und
rannten los. Erst fünf Straßen weiter blieben sie wieder stehen, alle drei
hochrot im Gesicht und außer Atem.
„Du blöder Idiot!“, fauchte Attalos Proteas an. „Ich wusste
gleich, mit dir bekommt man nur Ärger!“
„Wieso?“, grinste Proteas. „Ist doch nichts passiert!“
„Nur weil sie uns nicht erwischt haben! Der Marktaufseher
hätte uns das Fell über die Ohren gezogen.“
„Ich weiß nicht, warum ihr euch so anstellt. War doch ein toller
Spaß, oder?“
Das sollte auf absehbare Zeit der einzige Spaß bleiben, den
Alexander unter Leonidas’ Fuchtel haben sollte.
4
Als der Winter kam, nahmen Leonidas’
Erziehungsmaßnahmen endgültig beängstigende Formen an. Er bestand darauf, dass
Alexander auch bei klirrendem Frost bei geöffneten Fensterläden schlief und in
kaltem Wasser badete. Ein einziges verlorenes Kohlenbecken kämpfte in seinen
Räumen tapfer gegen die Kälte an, doch der Witterung angemessene Kleidung
lehnte Leonidas als Zeichen von Verweichlichung ab. Alexander fror, ohne zu klagen.
Eines Morgens stand draußen vor der Tür ein älterer Mann in
der Kälte. Er trug ein Bündel über der Schulter und stellte sich als Leonidas’
neuer Assistent vor.
„Es muss sich um einen Irrtum handeln“, erklärte Leonidas.
„Ich benötige keinen Assistenten.“
„Anweisung des Königs.“
Leonidas warf einen Blick in die Schriftrolle, die der
Fremde ihm unter die Nase hielt, und verzog das Gesicht. „Na schön. Aber du
kannst nicht bei uns wohnen, wir haben hier nicht viel Platz.“
„Brauche ich auch nicht. Wie du siehst, habe ich nicht viel
dabei“, sagte der Neue und tätschelte sein Bündel. „Ich bin übrigens
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