Eine Krone für Alexander (German Edition)
keinen Aufstand in
Thrakien.“
„Natürlich nicht. Stattdessen ist Parmenion mit unserer
Hauptstreitmacht im Anmarsch. Er dürfte inzwischen in Thessalien stehen.
Deshalb ist jetzt der letztmögliche Zeitpunkt zum Handeln. Wenn Parmenion erst
hier ist, nimmt uns kein Mensch mehr einen Rückzug ab.“ Philipp zwinkerte mit
seinem verbliebenen Auge. „Rate mal, wie es weitergeht!“
Alexander zwinkerte zurück. Inzwischen kannte er die Denkweise
seines Vaters ziemlich gut. „Der Kurier wird den Söldnern auf dem Parnassos in
die Hände laufen und dafür sorgen, dass sie den Brief bekommen.“
„Genau. Und bei ihnen führt Proxenos das Kommando, der nicht
unbedingt eine Leuchte ist. Schlimmer noch, an seiner Seite waltet Chares, der
alte Windbeutel, an sich kein übler Befehlshaber, aber unzuverlässig und zur
Bequemlichkeit neigend. Sobald er hört, dass wir abziehen, lässt er seine Leute
auf den Pässen ihr Zeug zusammenpacken. Sie sitzen nun schon den ganzen Winter
dort oben und frieren sich die Ärsche ab. Wer will diesen Aufenthalt schon
unnötig in die Länge ziehen? Chares bestimmt nicht. Jetzt warten wir nur noch
auf die Meldung der Kundschafter, dass die Pässe frei sind. Bist du nun
zufrieden?“
„Ja. Aber ich wünschte, du würdest mich früher in deine
Pläne einweihen“, murrte Alexander.
„Warum? So ist es doch viel lustiger!“
Weiß gekleidet und bekränzt war der
Festzug die Prozessionsstraße hinaufgeschritten, vorbei an den Schatzhäusern
der griechischen Staaten, die dort aufgereiht standen, vorbei auch an kostbaren
Weihgeschenken und endlosen Kohorten bronzener Helden, die vom Ruhm vergangener
Tage kündeten. Vor dem Tempel des Apollon hatte der feierliche Zug halt
gemacht, und der Oberpriester hatte dem König zum Dank für seinen Sieg über die
Frevler von Amphissa einen Kranz überreicht. Seine Zweige waren vom heiligen
Lorbeerbaum des Gottes geschnitten worden.
Alexander war zum ersten Mal in Delphi. Er bewunderte die
Denkmäler und Statuen, die bronzenen Stiere, Pferde und Sphingen, die überall
im heiligen Bezirk verteilt waren. Doch mehr noch als die Heroen der Vergangenheit
und die allgegenwärtigen Zeichen menschlicher Frömmigkeit beeindruckten ihn die
Schönheit der Landschaft, die klare Bergluft und der phänomenale Ausblick, der
weit über die Schluchten des Parnassos hinab zur Bucht von Krisa reichte.
Stärker als im heiligen Bezirk war hier oben die Anwesenheit einer Gottheit zu
spüren. Er sagte etwas in diesem Sinne zu Hephaistion, während sie weit
oberhalb des Tempels in der Frühlingssonne saßen.
„Wird der König das Orakel befragen?“, fragte Hephaistion.
„Nicht jetzt.“ Alexander warf einen Blick zum Himmel, wo
zwei Greifvögel zwischen den Gipfeln ihre Kreise zogen. „Wenn es so weit ist,
wird er es tun, und ich bin überzeugt, der neue Agamemnon wird die ihm genehme
Antwort erhalten. Schließlich ist er der Retter von Delphi, der Wohltäter des
Heiligtums!“
Hephaistion bemerkte den unzufriedenen Unterton und zog
fragend die Brauen hoch. Alexander kratzte eine Handvoll Lehm und Steine aus
dem Boden und spielte damit herum. „Anfangs fand ich seine Überraschungen noch
interessant. Wie er sich zum Hegemon im Heiligen Krieg gegen Amphissa ernennen
ließ und dann kurz vor Wintereinbruch noch ins Feld zog. Wie er die Thermopylen
umging. Wie er Chares und seine Söldner austrickste.“
„Ich dachte, du bewunderst ihn deswegen.“
„Das tue ich auch. Aber muss er immer so geheimnisvoll tun?
Warum zieht er mich nicht ins Vertrauen?“
„Was erwartest du? Du bist erst siebzehn.“
„Achtzehn.“
„Ich bin achtzehn, du bist siebzehn“, grinste Hephaistion.
„Nicht mehr lange, dann habe ich dich wieder eingeholt.“
Alexanders Altersgenossen hatten eben erst das Korps der Königsjungen verlassen
und waren in den Dienst bei den königlichen Gardetruppen eingetreten, zu Pferd
bei der Hetairen-Reiterei oder zu Fuß bei den Pezhetairen.
Hephaistion wurde wieder ernst. „Glaubst du wirklich, dass
der König seinen siebzehn- oder meinetwegen achtzehnjährigen Sohn in alle seine
Pläne und Gedanken einweihen muss? Gönn ihm doch den Spaß!“
„Es ist nur so, dass ich das Gefühl habe, er vertraut mir
nicht.“
„Warte ab, bis es richtig losgeht! Dann wirst du sehen, wie
sehr er dir vertraut. Wer weiß, vielleicht gibt er dir sogar den Befehl über
die Reiterei, nach dem du schon so lange gierst.“
6
Die Ebene von Chaironeia flirrte im
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