Eine Krone für Alexander (German Edition)
gehalten.
Betroffen blickte Alexander sich um. „Gibt es vielleicht
etwas, was ich für dich tun kann? Hast du eine Bitte?“
„Aber sicher. Könntest du vielleicht ein winzig kleines
Stück zur Seite gehen? Du stehst mir genau in der Sonne.“
„Oh … natürlich.“ Alexanders machte einen Schritt nach
rechts.
„Danke, so ist es besser“, sagte Diogenes mit einem Seufzer.
Er lehnte sich zurück, verschränkte seine Arme hinter dem Kopf und genoss die
Sonne.
Alexander fühlte sich inzwischen etwas fehl am Platz, war
aber nicht gewillt, sich so einfach abwimmeln zu lassen. Also ließ er sich auf
der niedrigen Einfassung des Brunnenbeckens nieder. Sofort taten viele andere
in seiner Begleitung das Gleiche. Wer keinen Platz auf der Umrandung fand,
setzte sich auf den Boden oder blieb stehen. Hephaistion platzierte sich ein
Stück von Alexander entfernt.
„Warum nennst du dich ‚der Hund‘?“, fragte Alexander.
„Tja, warum?“ Diogenes kratzte sich am Kopf. Er zeigte mit
dem Finger aufs Geratewohl in die neugierige Menge. Zufällig erwischte er
Ptolemaios. „He, du da mit der Hakennase und dem Boxerkinn! Was glaubst du,
warum ich ‚der Hund‘ genannt werde?“
„Weil du so unverschämt bist wie ein Straßenköter“,
antwortete Ptolemaios prompt.
Diogenes’ Kichern erinnerte an das Gemecker eines Ziegenbocks.
„Da ist was dran. Wenn jemand einem Hund etwas zu fressen hinwirft, wedelt der
freundlich mit dem Schwanz. Ich bin genauso dankbar. Doch Geizkrägen, die
nichts rausrücken wollen, knurre ich an, und Schufte beiße ich in den Hintern.“
Aus dem Hintergrund war vereinzelt Gelächter zu hören.
Alexander fragte: „Warum hast du dich für diese Lebensweise entschieden?“
„Oh, ich hatte ein mystisches Erlebnis, so ähnlich wie die
Leute, die sich in die Mysterien des Orpheus einweihen lassen. Interessiert
dich das wirklich?“
„Ja.“
„Also gut, ich erzähle es dir. Geboren wurde ich in der
Stadt Sinope. Mein Vater wurde angeklagt, Münzen gefälscht zu haben, völlig zu
Unrecht natürlich …“
„Natürlich“, riefen die einheimischen Zuhörer, die die Geschichte
schon tausendmal gehört hatten.
„…und deshalb wurde er aus Sinope verbannt. So irrten wir
beide viele Jahre als Flüchtlinge durch die Welt. Eines Tages kamen wir nach
Delphi. Da ich nicht wusste, was ich mit meinem Leben anfangen sollte, beschloss
ich, das Orakel zu fragen. Seine Antwort lautete, ich solle Münzen umprägen.
Ich hielt das zuerst für eine blöde Anspielung auf meinen Vater und ärgerte
mich wegen des rausgeschmissenen Geldes. Doch dann, als ich vor dem Tempel
ratlos in der Sonne saß, bemerkte ich eine Maus, die aus einem Loch in der Erde
schlüpfte. Sie machte Männchen und sah mit ihren kleinen schwarzen Knopfaugen
zu mir hoch. Da sie mich offenbar für ungefährlich hielt, begann sie, sich zu
putzen.“
Diogenes pulte sich mit dem Daumennagel zwischen den Zähnen
herum. Dann schmatzte er zufrieden und schloss die Augen. Es sah aus, als würde
er jeden Augenblick einschlafen.
„Wie geht es weiter?“, rief Onesikritos. Der Sohn von Alexanders
altem Lehrer Philiskos, seit einiger Zeit als Seemann bei der makedonischen Flotte
unter Vertrag, lag mit seinem Schiff in einem der beiden Häfen von Korinth vor
Anker. Neugierig geworden, hatte er sich in der Menge nach vorn gedrängelt.
„Ach ja.“ Diogenes macht die Augen wieder auf. „Als ich der
Maus so zusah, dachte ich: Dieses kleine Tierchen besitzt absolut nichts auf
der Welt. Aber es braucht auch fast nichts, nur ein bisschen zu fressen dann
und wann. Es geht, wohin es will. Es frisst, was es zufällig findet. Es
schläft, wo es ein ruhiges Plätzchen entdeckt. Und dann kam mir in den Sinn:
Wie glücklich könnte ein Mensch sein, wenn er so wenig Bedürfnisse hätte wie
diese Maus. Und diese Erkenntnis veränderte mein Leben. Ich verschenkte meine
Kleider – ein Tuch reicht mir als Schutz gegen die Kälte und als Decke in der
Nacht – und suchte mir eine Tonne zum Wohnen. Als ich ein Kind sah, das Wasser
aus der hohlen Hand trank, warf ich meinen Becher weg. Ein anderes Mal sah ich,
wie jemand seinen Linsenbrei aus einem ausgehöhlten Stück Brot aß. Da warf ich
auch meinen Teller fort.“
„Eine schöne Geschichte“, sagte Kallisthenes beißend. „Nur
hat sie den Fehler, nicht wahr zu sein. In Wirklichkeit hast du deine Ideen von
Antisthenes gestohlen. Dieser Philosoph strebte nach einer einfachen, natürlichen
Lebensweise,
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