Eine Krone für Alexander (German Edition)
frei von der Jagd nach Vergnügen und Lust. Du hast seine Lehre als
deine ausgegeben, sie aber bis zum Exzess getrieben und pervertiert.“
„Zumindest in einem hast du recht“, erwiderte Diogenes.
„Antisthenes war mein Lehrer, auch wenn er sich wahrscheinlich ärgern würde,
das zu hören. Und wer bist du, wenn ich fragen darf?“
„Kallisthenes aus Olynthos, Großneffe und Schüler des berühmten
Aristoteles, Historiker und Philosoph und zurzeit in den Diensten von König
Alexander.“
Diogenes legte den Kopf schief. „Das ist wohl ein guter Posten?“
„Es ist eine Herausforderung, denn der König ist ernsthaft
an Wahrheit und Erkenntnis interessiert.“
„Hm“, überlegte Diogenes. „Das ist gut für ihn. Und natürlich
auch für dich, denn als Hofphilosoph von König Alexander führst du sicher ein
Leben ohne Sorgen. Obwohl es bestimmt auch seine Nachteile hat. Was ist, wenn
Alexander findet, es ist Zeit zum Frühstück? Dann musst du aufstehen, auch wenn
du eigentlich noch im Bett bleiben willst. Und wenn dein Magen knurrt, gibt es trotzdem
erst was zu beißen, wenn Alexander es sagt. Weißt du was?“ Diogenes grinste
breit. „In Wirklichkeit bist du ein armes Schwein.“
Kallisthenes wollte gerade aufbrausen, als Alexander ihm das
Wort abschnitt. „Was war mit dem Orakelspruch? Was hatte er zu bedeuten?“
„Der Orakelspruch?“ Diogenes kratzte sich wieder am Kopf.
„Keine Ahnung. Vielleicht gar nichts?“
„Aber nein“, mischte sich wieder Onesikritos ein. „Die Bedeutung
liegt doch auf der Hand: Münzen umprägen – das ist genau das, was du tust: Denn
du stellst alles infrage, was die Menschen in ihrer Verblendung für wichtig und
wertvoll halten, wie Reichtum, Ruhm und Macht, und entlarvst es als unwichtig
und wertlos. Du bewertest alles neu, und genau das ist es, was der Gott mit
‚umprägen‘ meinte.“
„Donnerwetter!“, rief Diogenes bewundernd. „Du bist ein
richtiger Philosoph. Wie wär’s? Sollen wir dir eine Tonne besorgen? Wir könnten
sie neben meine stellen und gemeinsam philosophieren.“ Er wandte sich an
Alexander: „Und was ist mit dir? Möchtest du auch eine Tonne?“
„Nein, danke.“ Alexander lachte. Das Gespräch mit dem alten
Halunken gefiel ihm immer besser.
Diogenes tat erstaunt. „Warum nicht? Dieser Kallisthenes
sagt doch, du strebst nach Wahrheit und Erkenntnis. Wenn das stimmt, dann rein
in die Tonne! Wirf den schicken Umhang weg, den du da trägst. Auch die Spange
da auf deiner Schulter – ist die aus Gold? Weg mit diesen tollen Titeln, König
und Archon und Hegemon oder wie sie alle heißen.“
Diogenes’ Blick wanderte von Alexander zu Hephaistion, der ein
Stück von ihm entfernt auf dem Brunnenrand saß, die langen, braunen Beine ausgestreckt.
„Aber ich fürchte, das schaffst du nicht.“ Diogenes zeigte
mit dem Finger auf Hephaistion und grinste anzüglich. „Ich wette, du lässt dich
ganz und gar von den glatten Schenkeln des hübschen jungen Mannes dort beherrschen.“
Hephaistion schoss das Blut ins Gesicht. Die anderen Zuhörer
zogen hörbar die Luft ein, schockiert von der beleidigenden Ruppigkeit der Bemerkung.
In die Stille hinein sagte Alexander: „Du bist tatsächlich,
wie die Leute sagen: frech und rücksichtslos.“ Ganz gegen seinen Willen nötigte
ihm dieser zerlumpte alte Mann Respekt ab. „Und du hast überhaupt keine
Furcht.“
„Furcht? Warum sollte ich Furcht haben? Gibt es denn einen
Grund, sich vor dir zu fürchten?“
„König Alexander ist der mächtigste Mann Griechenlands“,
sagte Kallisthenes.
„Tatsächlich? Das habe ich gar nicht gewusst.“ Diogenes
legte den Kopf schief und sah Alexander mit zusammengekniffenen Augen an. „Sag
mir eines: Bist du gut oder böse?“
Alexander begann zu grinsen. Er hatte verstanden. „Natürlich
gut!“
„Na also! Warum sollte ich dann Angst vor dir haben?“
6
„Sie bleibt dabei, sie will nicht kommen“, rief Ptolemaios
schon von Weitem, als er den steilen Weg zum Tempel heraufkeuchte.
Als Alexander am Abend zuvor mit seinem Gefolge in Delphi
eingetroffen war, hatte im Heiligtum des Apollon eine völlig
uncharakteristische Ruhe geherrscht. Von seinem früheren Besuch in Delphi
wusste er, dass sich normalerweise Scharen von Menschen im heiligen Bezirk
drängten. Sie kamen von weither, aus der gesamten griechischen Welt, aber auch
aus Asien und sogar Ägypten, um Apollons Orakel zu befragen. Doch jetzt war
weit und breit niemand zu sehen. Keine
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