Eine Krone für Alexander (German Edition)
oder?“ Er warf Alexander von der Seite einen Blick
zu. Dabei lächelte er und ließ die Zähne blitzen. Er hatte tiefblaue Augen.
Obwohl er nicht beleidigt zu sein schien, war es Alexander
peinlich, ihn für einen Stalljungen gehalten zu haben. Deshalb fragte er
spontan: „Kann ich dir helfen?“
Der Junge sah überrascht auf, dann lächelte er wieder. „Wenn
du willst.“ Er gab Alexander einen Striegel und zeigte auf die Schimmelstute.
„Die kannst du dir vornehmen.“
Alexander begann, die Stute zu striegeln, konzentriert und
gewissenhaft. Nach einiger Zeit fragte er: „Gehören deinem Vater viele Pferde?“
„Ja. Er hat ein Gestüt nicht weit von Pella und beliefert
die Armee regelmäßig. Mein Vater bildet alle Pferde selbst aus. Natürlich nur,
wenn nicht gerade Krieg ist.“
„Ist er in der Armee?“
„Bei der Hetairen-Reiterei.“ Wenn sein Vater zur berittenen
Leibgarde des Königs gehörte, musste er ein Mann von einer gewissen Bedeutung
sein. „Und was ist mit deinem Vater? Ist er auch in der Armee?“
Alexander zögerte kurz. „Ja.“
„Und sonst?“
„Was sonst?“
„Was macht dein Vater sonst noch?“
„Er ist Soldat, das reicht doch.“
„Aber man kann doch nicht nur Soldat sein!“, sagte der
Junge. „Mein Vater hat sein Gestüt, andere haben ein Landgut oder zumindest
einen Bauernhof. Oder sie haben ein Handwerk erlernt.“
„Mein Vater ist nur Soldat. Ich werde später auch einmal einer.
Du nicht?“
„Doch, natürlich, alle Männer in meiner Familie werden Soldat.
Aber später einmal übernehme ich das Gestüt meines Vaters. Und was machst du, wenn
du nicht mehr Soldat bist?“
„Ich werde immer Soldat sein.“
Der Junge machte ein skeptisches Gesicht. „Vielleicht machst
du ja Karriere in der Armee und der König schenkt dir ein Stück Land“, meinte
er schließlich taktvoll.
Es war offensichtlich, dass er Alexander für den Sohn eines
Söldners hielt, heimatlos und ohne gesicherte Existenz. Alexander sah an sich
herab, sah den Chiton aus ungefärbtem Stoff und die ausgetretenen Sandalen, die
Leonidas ihn tragen ließ. Mit einem Mal wurde ihm bewusst, dass der andere ihn
wahrscheinlich ebenso falsch einschätzte, wie er es umgekehrt bei ihm getan hatte.
Der Junge schien Alexanders Verwirrung zu spüren und nahm
seinen Arm. „Hör zu, ich finde es nicht wichtig, woher jemand kommt. Ob er
reich ist oder ob er bedeutende Vorfahren hat. Es kommt nur darauf an, was für
ein Mensch er ist. Und du bist ein besonderer Mensch! Das kann ich spüren, wenn
ich dich ansehe.“
Er lächelte Alexander an, dann wandte er sich wieder seiner
Arbeit zu. Alexander spürte, wie ein Gefühl von Wärme in ihm aufstieg, während
sie schweigend weiterarbeiteten. Gemeinsam striegelten sie die Pferde, inspizierten
die Hufe und führten die Tiere nacheinander zur Tränke. Als sie fertig waren,
wuschen sie sich Gesicht und Hände im Brunnen. Dann angelte der andere Junge
nach einem Bündel, das an einem der Pfosten hing, und ließ sich damit auf der
hölzernen Brunneneinfassung nieder. Er öffnete es und brachte einen Kanten
Brot, ein Stück Käse, eine Handvoll Weintrauben und einen abgestoßenen
Tonbecher zum Vorschein.
„Hast du Hunger?“
„Ich möchte dir nicht dein Abendessen wegfuttern.“
„Unsinn, es reicht für zwei.“ Der Junge beugte sich vor, um
den Becher zu füllen. „Zu trinken gibt es allerdings nur Wasser. Ich heiße
übrigens Hephaistion, Sohn des Amyntor.“
„Amyntor? Nicht Amyntas?“
„Nein, meine Familie ist ursprünglich aus dem Süden. Dort
heißt es Amyntor statt Amyntas. Und wer bist du?“
„Alexander.“
„Sohn des …?“
„Philipp.“ In Makedonien gab es unzählige Männer, die Philipp
oder Alexander hießen, und unvermeidlich auch viele Philippe, die einen Sohn
namens Alexander hatten. „Woher genau kommt deine Familie?“
„Aus Athen.“
„Ihr wart Bürger von Athen?“, fragte Alexander überrascht.
„Nein, wir waren keine Bürger von Athen“, stellte
Hephaistion klar. „Wir kommen nur von dort. Meine Leute haben es nie geschafft,
das Bürgerrecht zu bekommen. Schließlich hatte mein Urgroßvater es satt und
ging nach Makedonien. Hier sind die Leute viel aufgeschlossener, sagte er
immer.“
So saßen sie nebeneinander auf dem Brunnenrand, machten sich
über das Essen her, tranken abwechselnd aus dem Becher und redeten. Hephaistion
war nur vier Monate älter als Alexander – er war im Frühjahr elf geworden,
Alexander
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