Eine Krone für Alexander (German Edition)
aussehe.“
Er lief zu ihr hinüber und umarmte sie. „Bestimmt nicht! Ich
verspreche es!“ Er drückte sie an sich und bemühte sich, seinen eigenen Ärger
unter Kontrolle zu bringen. Wieso hatte sein Vater ihm das aufhalsen müssen?
Eine Zeitlang standen sie eng umschlungen da, dann machte Olympias sich los und
legte ihm die Hände auf die Schultern.
„Lass nicht zu, dass er dich mir entfremdet! Versprich es
mir!“
Er versprach es noch einmal.
Sie ließ ihn los und wischte sich die Tränen ab. „Ich werde
so allein sein, wenn du weg bist!“
„Aber nein! Ich werde dich so
oft besuchen, wie ich kann. Und du hast ja noch Kleopatra!“
Phoinix war unglücklich, als ihm klar wurde, dass er
Alexander nicht nach Mieza würde begleiten können. Leonidas dagegen akzeptierte
seine Versetzung in den Ruhestand mit spartanischer Selbstbeherrschung. Er
erteilte seinem bisherigen Schüler letzte nützliche Ratschläge, gab der
Hoffnung Ausdruck, er werde dank seinem, Leonidas’, erzieherischem Wirken gut
auf den Dienst bei den Königsjungen vorbereitet sein, und half ihm, seine Sachen
zusammenzupacken. Alexander besaß nicht viel und würde noch weniger mitnehmen
können.
Am Abend vor seinem Aufbruch ließ ihn seine Mutter noch
einmal zu sich rufen, und er nahm an, dass sie von ihm Abschied nehmen wollte.
Als er ihre Räume betrat, war es bereits dunkel. Sie saß neben dem Hausaltar,
auf dem an diesem Abend ein Feuer brannte. Der flackernde Schein tauchte den
Raum in ein geheimnisvolles Licht. Die Anspannung der letzten Tage hatte Spuren
auf Olympias’ Gesicht hinterlassen, doch ihre Augen strahlten, und in ihnen lag
eine fast freudig wirkende Erwartung, die er sich nicht erklären konnte.
„Alexander, ich möchte dich jemandem vorstellen“, sagte sie.
„Dies ist Aristarche, die ehrwürdige Mysteriarchin von Samothrake. Sie ist
eigens gekommen, um dich zu sehen.“
Etwas bewegte sich neben Olympias in der Dunkelheit. Er
zuckte zusammen, denn er hätte schwören können, dass eben noch dort nichts gewesen
war. Nun schien in der Finsternis etwas Gestalt anzunehmen.
„Endlich lernen wir uns kennen“, sagte eine leise Stimme.
„Myrtale hat mir in ihren Briefen viel von dir erzählt.“
Er überlegte, wer wohl Myrtale war, doch ehe er fragen konnte,
loderte das Feuer auf dem Herd auf, und Licht fiel auf die fremde Gestalt. Ihn
fröstelte, obwohl die Mysteriarchin bei näherem Hinsehen durchaus nichts Unheimliches
an sich hatte. Sie schien einfach nur eine alte Frau in einem schlichten Umhang
zu sein, vom Alter gebeugt und gebrechlich. Er ließ sich davon nicht täuschen.
„Samothrake“, sagte er. „Die Großen Götter. Du bist die
Hohepriesterin der Kabiren.“
„Du kennst sie?“
„Ein paar Namen, sonst nichts.“
„Gut. Der Kult der Großen Götter und seine Riten sind geheim.
Nur Eingeweihte wissen davon.“ Ihr Tonfall änderte sich, wurde vertraulicher.
„Vor vielen Jahren kam deine Mutter nach Samothrake, wo ich selbst sie in die
Mysterien einweihte. Damals war sie nicht viel älter als du jetzt. Dein Vater
war zur gleichen Zeit bei uns. Als er deine Mutter bei der Prozession unter den
Frauen gehen sah, verliebte er sich sofort unsterblich in sie.“
Alexander erwiderte nichts; die Vorstellung, dass sich sein
Vater in seine Mutter verliebt haben könnte, kam ihm absurd vor.
Olympias sagte: „Es ist eine große Ehre für dich, dass die
Mysteriarchin deinetwegen den weiten Weg hierhergekommen ist. Sie ist nicht nur
Hohepriesterin, sondern auch eine Seherin. Sie wird dir deine Bestimmung enthüllen.“
Aristarche schüttelte den Kopf. „Dazu ist es noch zu früh.“
Überrascht wandte Olympias sich zu ihr. „Aber er wird morgen
fortgehen, vielleicht für immer! Jetzt ist die richtige Zeit.“
„Noch nicht.“
„Warum bist du dann gekommen?“
„Weil ich ihn sehen wollte.“ Aristarche legte ihr die Hand
auf den Arm. „Hab Geduld, Myrtale.“
Olympias schwieg enttäuscht, und Alexander wunderte sich
flüchtig, dass die Seherin sie Myrtale nannte. Obwohl er angestrengt in die
Dunkelheit starrte, konnte er Aristarches Gesicht immer noch nicht genau erkennen.
„Was ist das für eine Bestimmung, von der ihr sprecht?“, fragte
er.
„Bestimmung ist ein großes Wort“, erwiderte die Seherin aus
der Dunkelheit. „Die Menschen befragen die Orakel, um die Zukunft zu erfahren.
Doch seine Bestimmung muss jeder selbst erkennen. Kein Seher kann sie ihm
enthüllen, wenn er noch nicht
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