Eine Krone für Alexander (German Edition)
wieder
ein: damals im Tempel des Zeus, später die Priesterin aus Samothrake – seine
Mutter hatte in der Tat seltsame Andeutungen gemacht. Seine besondere Beziehung
zu Zeus, seine große Bestimmung …
Ehe er sich berichtigen konnte, fuhr Eurydika fort: „Egal,
du wirst es merken, wenn es so weit ist. Und wenn du Wert darauf legst, eines
Tages die Nachfolge deines Vaters anzutreten, dann lass dich nicht auf Olympias’
Spielchen ein. Die Mutter eines Thronerben ist seine treueste Verbündete, der
einzige Mensch, der kompromisslos an seiner Seite steht. So jedenfalls sollte
es sein. Doch Olympias geht es nicht um dich, ihr geht es nur um ihre eigene
Macht.“
„Das ist nicht wahr!“, rief er. „Sie liebt mich. Macht
interessiert sie nicht.“
Eurydika grinste, und ihr Griff um seinen Arm verstärkte
sich weiter. Ihre Stimme war zu einem hektischen Flüstern herabgesunken. „Sie
hofft, eines Tages durch dich herrschen zu können, denn dann kann sie endlich
an ihren Widersachern Rache nehmen. Macht interessiert sie nicht? Was meinst
du, warum sie Arrhidaios und Nikesipolis vergiftet hat – aus Liebe zu dir
etwa?“
„Du lügst! Das hat sie nicht getan!“
„Jetzt hör mir einmal zu!“ Mit aller Kraft bäumte Eurydika
sich auf, bis ihr Gesicht fast an seines stieß. Ihre harten Fingerspitzen
gruben sich in sein Fleisch wie Klauen. „Ich habe dich nicht kommen lassen, um
mit dir zu streiten. Sondern um dir ein paar letzte gute Ratschläge zu
erteilen. Damit mit du länger überlebst als die nächsten zwei, drei Jahre. Und
hier sind sie: Traue deinen Eltern nicht, weder deinem Vater noch deiner
Mutter! Nimm dich in Acht vor Philipp, aber lass dich auf keinen Fall von
deiner Mutter gegen ihn aufhetzen. Er ist es, den du beerben willst, nicht sie.
Deshalb: Lass dich nicht auf ihre Spielchen ein!“
Endlich ließ sie ihn los und
sank zurück auf ihre Kissen. Ihr Gesicht wirkte erschöpft. Doch ihr Grinsen
vertiefte sich, als empfinde sie eine geheime Genugtuung darüber, dass er
seinen Eltern nicht vertrauen durfte.
Er stand vor dem Grabhügel und sah zu, wie die Urne durch
die offene Tür in die Kammer dahinter getragen wurde. Alle hatten sich vor der
Fassade des Grabmals versammelt, der König, seine Ehefrauen, seine Kinder und
sein Neffe Amyntas. Auch Eurydikas Verwandte aus Lynkestis waren gekommen, drei
Brüder namens Arrhabaios, Heromenes und Alexander, dazu die beiden jungen Söhne
von Arrhabaios. Auch Leonnatos, den Enkel ihrer Schwester, hatte man zusammen
mit Alexander aus Mieza kommen lassen.
Eurydika hatte noch fast einen Monat durchgehalten, dann war
sie gestorben und mit großem Pomp eingeäschert worden. Unabhängig davon, was
man von ihrer Person gehalten haben mochte: Sie war die Frau eines Königs
gewesen und die Mutter von drei weiteren. Ihre Bestattung war ein
Staatsereignis. Ihre sterblichen Überreste waren in feierlichem Zug nach Aigai
überführt worden, um in dem reich ausgestatteten Grab beigesetzt zu werden, das
sie schon vor Jahren für sich hatte bauen lassen. Es war in aller Schnelle
hergerichtet worden.
Da inzwischen tiefster Winter herrschte, froren sie alle entsetzlich,
als sie vor dem Grabhügel standen und darauf warteten, dass die schwere
Steintür verschlossen wurde. Es war typisch für Eurydika, dachte Alexander,
sich ausgerechnet den Winter zum Sterben auszusuchen. Vermutlich hätte sie sich
amüsiert, wenn sie hätte zusehen können, wie ihre geliebte Familie zitternd vor
Kälte im Regen stand.
Ob sie sich vor ihrem Tod noch mit ihrem letzten überlebenden
Sohn versöhnt hatte, wusste Alexander nicht. Er war sich immer noch nicht sicher,
wie viel er ihr glauben sollte, doch in jedem Fall hatte er inzwischen großen
Respekt vor ihr. Die meisten Leute waren der Ansicht, dass Frauen sich nicht
ins öffentliche Leben einmischen sollten. Das galt sogar für die Frau eines
Königs – ihre einzige Aufgabe war es, Erben für den Thron zu produzieren.
Eurydika dagegen hatte einst energisch nach den Zügeln der Macht gegriffen und
damit sicherlich viele Menschen schockiert. Kein Wunder also, dass man ihr
immer das Schlimmste zugetraut hatte. Wer weiß, dachte Alexander, während der
Regen allmählich in Schneeregen überging, vielleicht waren es wirklich nur
Verleumdungen. Ihre Warnung jedenfalls würde er nicht vergessen.
6
„Wer kann uns kurz erläutern, wann die Erbfeindschaft
zwischen den Griechen und den Barbaren in Asien ihren Anfang genommen hat?“
Kallisthenes
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