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Eine kurze Geschichte der alltäglichen Dinge

Titel: Eine kurze Geschichte der alltäglichen Dinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bryson
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bald über Paris erheben sollte, aus ebendiesem, dem Untergang geweihten Material bestehen würde: der Eiffelturm. Nie in der Geschichte war ein Bau gleichzeitig technisch so fortgeschritten, aber vom Material her so überholt und obendrein so herrlich sinnlos gewesen. Und um diese bemerkenswerte Geschichte zu erzählen, müssen wir wieder nach oben gehen, in einen neuen Raum.

Zehntes Kapitel
    Der Flur
    I.
    Sein voller Name lautete Alexandre Gustave Bönickhausen-Eiffel, und er war zu einem Leben respektabler Bedeutungslosigkeit in der Essigfabrik seines Onkels in Dijon bestimmt. Doch die Fabrik ging bankrott, und er wurde Ingenieur.
    Ein hervorragender sogar — und das ist noch untertrieben. Er baute Brücken und Viadukte über unglaubliche Schluchten, Bahnhofshallen von überwältigenden Ausmaßen und grandiose, kühne Konstruktionen, die immer noch beeindrucken und inspirieren, darunter 1884 die komplizierteste von allen, das innere Stützgerüst der Freiheitsstatue. Allgemein gilt die Freiheitsstatue als Werk des Bildhauers Frédéric-Auguste Bartholdi, und er hat sie ja auch entworfen. Doch ohne die begnadete Leistung der Ingenieure, durch die sie aufrecht erhalten wird, wäre sie bloß eine hohle Figur aus gehämmertem Kupfer, etwa so dünn wie ein Schokoladenosterhase, kaum ein Viertelzentimeter also. Sie ist 46 Meter hoch und muss sich Tag für Tag gegen Wind und Schnee, peitschenden Regen und salzige Gischt, gegen Ausdehnung und Zusammenziehen des Metalls in Sonne und Kälte und tausend andere Drangsale behaupten.
    Mit solchen Unbilden umzugehen sah sich noch nie ein Ingenieur berufen, doch Eiffel kam auf eine äußerst geschickte Lösung: Er schuf ein Skelett aus Eisenträgern und Federn, auf dem die Kupferhaut getragen wurde wie ein Kleidungsstück. Obwohl er gar nicht daran dachte, was seine Technik für herkömmliche Bauten bedeuten mochte, hatte er die vorgehängte Fassadenkonstruktion erfunden, die wichtigste Bautechnik des zwanzigsten Jahrhunderts, die den Bau von Wolkenkratzern ermöglichte. (Unabhängig von Eiffel erfanden die Schöpfer der ersten Wolkenkratzer in Chicago gleichfalls die vorgehängte Fassadenkonstruktion, doch Eiffel war schneller.) Die Freiheitsstatue ist also eine ganz tolle Ingenieurleistung, aber weil sich das, was so genial daran ist, unter ihrem Gewand versteckt, weiß sie kaum jemand zu schätzen.
    Eiffel war kein eitler Mann, doch bei seinem nächsten großen Projekt sorgte er dafür, dass seine Rolle auch gebührend herausgestellt wurde. Zur Weltausstellung in Paris 1889 schuf er etwas, das nur Skelett war! Wie bei solchen Ereignissen üblich wollten die Veranstalter ein deutlich sichtbares Symbol und baten um Vorschläge. Etwa einhundert wurden eingereicht, darunter (wohl zur Feier des einzigartigen Beitrags Frankreichs zur Kunst des Kopfabschlagens) ein Entwurf für eine zweihundertsiebzig Meter hohe Guillotine, was viele Leute jedoch kaum abstruser fanden als Eiffels Einsendung. Sinn und Zweck eines gigantischen Bohrturms, ohne jede Funktion, mitten in ihrer Stadt, leuchteten vielen Parisern nicht ein. Aber Eiffel gewann.
    Sein Turm war nicht nur das größte Bauwerk, das jemals vorgeschlagen worden war, sondern auch das größte komplett nutzlose Bauwerk. Es war kein Schloss, keine Begräbnisstätte und kein Gotteshaus, ja, es diente nicht einmal der Erinnerung an einen gefallenen Helden. Eiffel behauptete zwar tapfer, dass sein Turm viele praktische Anwendungsmöglichkeiten berge — einen fabelhaften militärischen Ausguckposten abgäbe, auf seinen oberen Etagen Platz für viele nützliche luftfahrttechnische und meteorologische Experimente biete —, doch selbst er räumte schließlich ein, dass es ihm hauptsächlich darum gehe, etwas absolut Riesengroßes zu bauen. Eine etwas seltsam anmutende Begründung.
    Zahlreiche Leute, besonders Künstler und Intellektuelle, fanden den Turm furchtbar. Ein paar herausragende Köpfe, darun-

    ter Alexandre Dumas, Emile Zola, Paul Verlaine und Guy de Maupassant, echauffierten sich sehr und verfassten einen langen offenen Brief, in dem sie gegen die »Schändung von Paris« protestierten und vorbrachten, »Fremde, die unsere Ausstellung besuchen wollen, werden vor Verwunderung aufschreien: >Was! Dieses Monstrum haben die Franzosen geschaffen, um uns eine Kostprobe von ihrem hochgerühmten Geschmack zu geben?« Der Eiffelturm, fuhren die Protestierer fort, sei »die groteske, geldgierige Erfindung eines Maschinenbauers«. Eiffel

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