Eine kurze Geschichte der alltäglichen Dinge
Welt nun Wohnhäuser baute, die größer waren als die größten Monumente der Alten Welt.
1889 hatten Luxus und Überfluss in den Vereinigten Staaten wahrlich gigantische Ausmaße angenommen. MarkTwain prägte für diese Zeit den Begriff Gilded Age, Vergoldetes Zeitalter, und der Name blieb. Eine solche Phase der Prosperität sollte nie wiederkommen. Zwischen 1850 und 1900 wurde in den Vereinigten Staaten jedes Maß an Reichtum, Produktivität und Wohlstand übertroffen. Die Einwohnerzahl des Landes verdreifachte sich, doch der Wohlstand wuchs um das Dreizehnfache. Die Stahlproduktion stieg von 13 000 Tonnen im Jahr auf 11,3 Millionen. Die Exportsumme der verschiedensten Metallerzeugnisse — Waffen, Schienen, Rohre, Dampfkessel, Maschinen aller Art — kletterte von sechs Millionen Dollar auf 120. Gegen Ende des Jahrhunderts betrug die Zahl der Millionäre vierzigtausend — 1850 hatte es nicht mal zwanzig gegeben.
Die Europäer betrachteten die erfolgreiche Industrialisierung der Vereinigten Staaten zunächst amüsiert, dann bestürzt, dann zunehmend alarmiert. In Großbritannien bildete sich eine sogenannte Nationale Effizienzbewegung, die unbedingt den britischen Bulldoggengeist wiederzubeleben suchte, mit dem das Land es bisher zu solcher Größe gebracht hatte. Bücher wie Die amerikanischen Invasoren und Amerikas »Handelsinvasion« in Europa gingen weg wie warme Semmeln. Doch in Wirklichkeit war die Entwicklung erst am Anfang.
Bei Anbruch des zwanzigsten Jahrhunderts produzierten die Vereinigten Staaten mehr Stahl als Deutschland und Großbritannien zusammen — das wäre ein halbes Jahrhundert zuvor noch undenkbar gewesen! Besonders aber wurmte die Europäer, dass zwar alle technischen Fortschritte in der Stahlproduktion made in Europe waren, der Stahl jedoch made in America. 1901 schluckte J.P. Morgan eine Schar kleinerer Firmen und verschmolz sie zu der mächtigen US Steel Corporation, dem größten Wirtschaftsunternehmen, das die Welt je gesehen hatte. Sein Wert von 1,4 Milliarden Dollar überstieg den des gesamten Landes westlich des Mississippi, und seine jährlichen Einnahmen waren doppelt so hoch wie die der US-Regierung.
Mit dem industriellen Aufstieg der Vereinigten Staaten ging bald eine erlauchte Namensliste von Finanzmagnaten einher. Die Rockefellers, Morgans, Astors, Mellons, Morgans, Fricks, Carnegies, Goulds, du Ponts, Belmonts, Harrimans, Huntingtons,Vanderbilts und viele mehr genossen einen buchstäblich unerschöpflichen Familienreichtum. John D. Rockefeller verdiente, in heutigem Geld gemessen, eine Milliarde Dollar pro Jahr und zahlte keine Einkommensteuer. Die zahlte auch sonst niemand, denn es gab sie in den Vereinigten Staaten noch nicht. Der Kongress versuchte 1894 eine Einkommensteuer von zwei Prozent auf Einkommen über 4000 Dollar einzuführen, doch das Oberste Bundesgericht war der Meinung, das verstoße gegen die Verfassung. Erst 1914 wurde die Einkommensteuer durchgesetzt, bis dahin konnte man alles Geld, das man verdiente, behalten. So reich sollten auch danach nie wieder Leute werden.
Das ganze Geld auszugeben wurde für viele ein regelrechter Vollzeitjob. Fast alles, was sie taten, bekam einen verzweifelten, abgeschmackten Touch. Bei einer Dinnerparty in New York fanden die Gäste einen mit Sand vollgehäuften Esstisch vor und an jedem Platz einen kleinen goldenen Spaten. Mit dem bat man sie nach Diamanten und sonstigem kostspieligem Glitzerkram zu graben, die in dem Sand versteckt waren. Bei einer anderen Party führte man mehrere Dutzend Pferde mit wattierten Hufen in den Ballsaal von Sherry's, einem riesigen, allseits geschätzten Speiseetablissement, band die Vierbeiner um die Tische herum fest, und dann konnten die Gäste, als Cowboys und Cowgirls verkleidet, dem neuartigen und ergreifend sinnfreien Spaß frönen, hoch zu Pferde in einem New Yorker Ballsaal zu dinieren. Viele Partys kosteten Zehntausende von Dollar. Am 26. März 1883 toppte Mrs. William K. Vanderbilt alles bisher Dagewesene und schmiss eine Fete, die 250 000 Dollar kostete. Aber man feierte ja auch das Ende der Fastenzeit, bemerkte die New York Times verständnisvoll. Weiland noch leicht zu blenden, schilderte die Times in einem ungebremsten Wortschwall von 10 000 Worten jede Einzelheit des Ereignisses. Es war übrigens die Party, zu der Mrs. Cornelius Vanderbilt als elektrische Glühbirne verkleidet kam — wahrscheinlich das einzige Mal in ihrem Leben, dass sie das Attribut strahlend
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