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Eine kurze Geschichte der alltäglichen Dinge

Titel: Eine kurze Geschichte der alltäglichen Dinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bryson
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an und sieht aus wie bearbeiteter Naturstein und verwittert so wenig wie der härteste Naturstein, ist aber kein Stein. Er ist — Überraschung! — aus Keramik, das heißt: aus gebranntem Ton. Je nach Beschaffenheit des Tons und der Intensität des Brands bekommt man drei verschiedene Werkstoffe: Keramik, Steingut oder Porzellan. Der Coade-Stein ist eine Art Steingut, doch besonders hart und haltbar. Meist ist er so wetterbeständig und resistent gegen Luftverschmutzung, dass er sogar noch nach fast zweieinhalb Jahrhunderten unter dem Einfluss der Elemente wie neu aussieht.

    Obwohl allseits beliebt und hochgeschätzt, ist erstaunlich wenig über den Coade-Stein und die Frau, die ihn herstellen ließ, bekannt. Wo und wann er erfunden wurde, wie Eleanor Coade damit zu tun bekam, warum die Firma Ende der 1830er Jahre plötzlich schließen musste, all das hat das Interesse der Wissenschaftler bisher nicht geweckt. Im Dictionary of National Biography steht über Mrs. Coade nur ein halbes Dutzend Absätze, und die einzige Gesamtgeschichte von ihr und ihrer Firma ist ein selbstverlegtes Werk der Historikerin Alison Kelly aus dem Jahr 1999.
    Als gesichert gilt, dass Eleanor Coade die Tochter eines gescheiterten Geschäftsmannes aus Exeter war, um 1760 nach London kam und dort ein erfolgreiches Wäschegeschäft betrieb. Gegen Ende des Jahrzehnts lernte sie Daniel Pincot kennen, der schon Kunststein herstellte. Sie gründeten auf der Südseite der Themse, ungefähr dort, wo heute der Bahnhof Waterloo ist, eine Fabrik und begannen mit der Produktion hochwertigen Materials. Mrs. Coade wird oft die Erfindung zugeschrieben, es ist aber wahrscheinlicher, dass Pincot das Verfahren entwickelt und sie das Geld hatte. Wie dem auch sei, Pincot schied schon nach zwei Jahren aus der Firma aus, und man hörte nie wieder von ihm. Doch Eleanor Coade leitete das Unternehmen die nächsten zweiundfünfzig Jahre bis zu ihrem Tod (1821 im gesegneten Alter von achtundachtzig) äußerst erfolgreich, eine bemerkenswerte Leistung für eine Frau in dieser Zeit. Sie heiratete nie. Ob sie nett und beliebt war oder ein widerlicher Drachen, wissen wir nicht. Wir wissen nur, dass die Geschäfte ohne sie schlechter gingen und die Firma Coade schließlich pleiteging, allerdings so still und leise, dass heute niemand mehr das genaue Datum nennen kann.
    Ein hartnäckiger Mythos besagt, dass Eleanor Coade das Geheimnis des Coade-Steins mit ins Grab genommen hat. Aber mindestens zwei Mal hat man ihn seitdem nach dem alten Verfahren hergestellt und damit bewiesen, dass nichts die Leute davon hätte abhalten können, den Stein weiter und auch heute noch kommerziell zu produzieren. Offenbar wollte es keiner.
    Coade-Stein konnte man immer nur zu dekorativen Zwecken benutzen. Doch zum Glück gab es noch ein altehrwürdiges Baumaterial, dem die Luftverschmutzung gleichfalls nichts anhaben konnte, den Backstein. Mehr noch, der Dreck in der Luft sorgte nun dafür, dass Backstein ein großes Comeback erlebte. Etliche Faktoren, die zur rechten Zeit kamen, waren allerdings behilflich: Der Bau der Schifffahrtskanäle verbilligte denTransport von Gütern über beträchtliche Entfernungen, und nach Erfindung des Hoffmann'schen Ringofens (nach seinem Erschaffer benannt, dem Deutschen Friedrich Hoffmann) konnte man Backsteine serienmäßig und billiger herstellen. Mit Abschaffung der Backsteinsteuer 1850 verringerten sich die Kosten weiter. Angekurbelt wurde die Produktion aber vor allem durch das phänomenale Wachstum Großbritanniens im neunzehnten Jahrhundert — Städte, Industrie, Wohnungsbau für die immer zahlreicheren Menschen, all das wuchs und dehnte sich aus. Zu Lebzeiten Königin Victorias stieg die Bevölkerung Londons von einer Million auf fast sieben Millionen, und die jungen Industriestädte wie Manchester, Leeds und Bradford entwickelten sich noch rasanter. Insgesamt vervierfachte sich die Zahl der Häuser in Großbritannien in dem Jahrhundert, und sie waren in ihrer überwältigenden Mehrheit aus Backstein. Das waren auch die meisten Fabriken, Schornsteine, Bahnhöfe, Abwasserkanäle, Schulen, Kirchen, Bürogebäude und alles, was an Infrastruktur in dieser hektisch betriebsamen Zeit entstand. Backstein war unwiderstehlich vielseitig und preiswert. Er wurde zum Standardbaumaterial der Industriellen Revolution.
    Einer Schätzung zufolge verbaute man in der Viktorianischen Periode in Großbritannien mehr Backsteine als in der gesamten Zeit vorher. London

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