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Eine kurze Geschichte der alltäglichen Dinge

Titel: Eine kurze Geschichte der alltäglichen Dinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bryson
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wuchs, und das hieß, dass sich Vororte mit mehr oder weniger identischen Backsteinhäusern ausbreiteten — meilenweit »monotone, öde Mittelmäßigkeit«, mit Disraelis knappen Worten. Für die Mittelmäßigkeit war natürlich weitgehend der Hoffmannofen verantwortlich, denn mit ihm kam die absolute Gleichmacherei in Größe, Farbe und Aussehen in die Welt der Backsteine. Gebäude aus diesen neuen Steinen waren viel grober und weniger charaktervoll als die früherer Perioden, doch sie waren auch viel billiger, und letztendlich konnten sich die Menschen dieser Tatsache nicht verschließen.
    Bei Backsteinen bestand allerdings ein Problem, und das zeigte sich im Verlauf des Jahrhunderts, als Bauland rarer wurde, zunehmend deutlich. Backsteine sind wahnsinnig schwer, und richtig hohe Bauten kann man nicht mit ihnen errichten. Dabei hat man es durchaus versucht. Das höchste Backsteingebäude, das je gebaut wurde, war das sechzehnstöckige Monadnock Building, ein Allzweckbürogebäude, 1893 in Chicago fertig gestellt und von dem Architekten John Root von der berühmten Firma Burnham and Root kurz vor seinem Tod entworfen. Es steht immer noch und ist ein erstaunlicher Anblick. Die Wände auf Straßenhöhe mussten fast zwei Meter breit gemacht werden, um das ganze Gewicht zu tragen, und dadurch ist das Erdgeschoss ein dunkles, ungemütliches Gewölbe geworden.
    Das Monadnock Building wäre überall etwas Besonderes gewesen, in Chicago aber ist es das insofern, als hier die Erde wie ein großer Schwamm ist. Die Stadt ist auf Wattland erbaut: Jedes Gewicht sinkt hier unweigerlich ein — und früher sind die Häuser auch mehr oder weniger immer eingesunken. Die meisten Architekten kalkulierten ungefähr dreißig Zentimeter Sinktoleranz ein. Bürgersteige wurden mit starker Neigung angelegt, vom Gebäude zum Bordstein ging es abwärts. Man hoffte, dass der Bürgersteig mit dem sich setzenden Gebäude zusammen absackte und am Ende perfekt horizontal zu ihm verlief. Praktisch erfüllte sich diese Hoffnung nie.
    Um das Sinkproblem zu verringern, entwickelten die Architekten ein »Floß«, auf dem das Gebäude stehen konnte wie ein Surfer auf dem Surfbrett. Das Floß unter dem Monadnock Building steht auf jeder Seite mehr als drei Meter dreißig über, doch selbst mit dem Floß sank der Bau nach Fertigstellung fast sechzig Zentimeter — was man bei einem sechzehnstöckigen Haus ja ungern sieht. Es zeugt von den Fähigkeiten John Roots, dass es immer noch steht. Nicht alle hatten dieses Glück. Ein Regierungsbürogebäude, das Federal Building, das 1880 für sage und schreibe fünf Millionen Dollar erbaut worden war, legte sich so schnell und gefährlich zur Seite, dass es keine zwei Jahrzehnte hielt. Viele andere kleinere Gebäude erlebten ein ähnlich frühes Ende.
    Die Architekten brauchten also ein leichteres, flexibleres Baumaterial, und lange hatte es den Anschein, als könne es Eisen sein, das Joseph Paxton mit seinem Kristallpalast weltweit berühmt gemacht hatte.
    Zum Bauen benutzte man zwei Arten: Gusseisen und Schmiedeeisen. Gusseisen (das so heißt, weil es in Formen gegossen wird) hielt zwar großem Druck stand, doch weniger gut Spannung. Da neigte es dazu, auseinanderzubrechen wie ein Bleistift, den man horizontal belastet. Aus Gusseisen konnte man also wunderbar Säulen, aber keine Querbalken fertigen. Im Gegensatz dazu war Schmiedeeisen für horizontalen Einsatz stark genug, aber teurer, weil seine Herstellung komplizierter und damit zeitaufwändiger war, denn es musste noch in geschmolzenem Zustand mehrfach gerührt werden. Auf diese Weise wurde es nicht nur belastbarer, sondern auch formbar — das heißt, man konnte es wie Kaubonbons in die Länge ziehen und in Formen biegen, weshalb ja auch ornamentalere Dinge wie Tore aus Schmiedeeisen gemacht wurden. Beide Eisenarten wurden bei großen Bauvorhaben und Ingenieurprojekten auf der ganzen Welt verwendet.
    Wo sich Eisen kurioserweise aber nie durchsetzte, außer einmal durch Zufall, war im Wohnungsbau. Anderswo wurde es immer mehr gebraucht, bis man merkte, dass Stärke eigentlich doch nicht seine verlässlichste Eigenschaft war. Bisweilen versagte es verstörend spektakulär. Besonders Gusseisen zersplitterte oder zerbrach, wenn es nicht perfekt gegossen war, was man aber vorher nicht entdecken konnte. Das zeigte sich auf tragische Weise im Winter 1860 in einer Textilfabrik in Lawrence, Massachusetts. Als dort an einem kalten Morgen neunhundert Frauen, meist

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