Eine kurze Geschichte der alltäglichen Dinge
irische Einwanderinnen, an ihren ratternden Maschinen bei der Arbeit waren, knickte eine der gusseisernen Säulen ein, die das Dach hielten. Wie Knöpfe, die an einem Hemd platzen, knickten mit einem Moment Verzögerung alle anderen Säulen nacheinander ein. Die entsetzten Arbeiterinnen rannten zu den Ausgängen, doch bevor viele von ihnen entkommen konnten, brach das ganze Gebäude mit einem Brüllen zusammen, das niemand, der dabei war, je vergaß. Etwa zweihundert Menschen starben, wenn sich auch bemerkenswerterweise weder sofort noch später jemand die Mühe machte, die genaue Zahl der Opfer festzustellen. Hunderte wurden verletzt. Viele von denen, die im Inneren gefangen waren, fanden einen grässlichen Tod in dem Feuer, das durch zerbrochene Lampen verursacht worden war.
Als im Jahrzehnt danach eine Brücke über den Ashtabula River in Ohio kollabierte, während ein Personenzug darüberfuhr, geriet Eisen weiter in Verruf. Sechsundsiebzig Menschen kamen um. Das Unglück wiederholte sich mit gespenstischer Präzision fast auf den Tag genau drei Jahre später auf der Brücke am Tay in Schottland. Als bei schlechtem Wetter ein Zug darüberrollte, knickte ein Teil der Brücke ein, die Waggons wurden tief ins Wasser darunter geschleudert, und es starben beinahe genauso viele Menschen wie am Ashtabula River. Das waren die berüchtigtsten Tragödien; kleinere Missgeschicke mit Eisen waren an der Tagesordnung. Manchmal explodierten Dampfkessel aus Gusseisen, und häufig wurden unter dem Druck schwerer Lasten oder bei Wetterwechsel Schienen locker oder verbogen sich, und die Züge entgleisten. Dass Eisen so viele Nachteile hatte, war dem Erie-Kanal nur dienlich. Er wurde bis weit ins Zeitalter der Eisenbahnen viel benutzt, obwohl er jeden Winter monatelang zugefroren und nicht passierbar war. Züge konnten das ganze Jahr fahren, und als die Lokomotiven stetig besser wurden, konnten sie theoretisch auch mehr Fracht ziehen.
Doch praktisch waren die Eisenbahnschienen nicht stabil genug für wirklich schwere Lasten.
Man brauchte etwas viel Stärkeres, und das war der Stahl lediglich eine andere Art von Eisen, mit einem anderen Kohlenstoffgehalt. Stahl war in jeder Hinsicht ein besseres Material, konnte aber nicht in großen Mengen erzeugt werden, weil man sehr hohe Temperaturen brauchte. Schwerter oder Rasierklingen konnte man prima herstellen, nicht aber großformatige Industrieerzeugnisse wie Balken und Schienen. 1857 wurde das Problem dann völlig überraschend gelöst. Und zwar von einem englischen Geschäftsmann, der keinerlei Kenntnisse der Metallverarbeitung besaß, aber gern herumtüftelte und experimentierte. Er hieß Henry Bessemer und war schon extrem erfolgreich, weil er ein Bronzepulver erfunden hatte, das man allenthalben zum Vergolden benutzte. Da man zur viktorianischen Zeit vergoldete Oberflächen liebte, wurde Bessemer mit seinem Pulver reich und hatte Zeit und Muße, sich seinen Erfindergelüsten hinzugeben. Im Krimkrieg kam er auf den Gedanken, schwere Geschütze herzustellen, doch er wusste, dass er dazu besseres Material als Guss- oder Schmiedeeisen brauchte, und begann mit neuen Methoden zu experimentieren. Obwohl er eigentlich keine Ahnung hatte, was er tat, blies er Luft in geschmolzenes Roheisen, um zu sehen, was passierte. Was nach herkömmlichem Wissen hätte passieren sollen, war eine gewaltige Explosion. Weshalb ja auch bisher noch niemand, der einigermaßen bei Sinnen war, ein solch närrisches Experiment durchgeführt hatte. Aber bei Bessemer explodierte nichts, sondern es entstand eine Flamme von sehr hoher Intensität, die alle Unreinheiten aus dem Eisen herausbrannte und harten Stahl daraus machte.
Von nun an war es möglich, Stahl in großen Mengen zu produzieren. Stahl war natürlich das Material, auf das die Industrielle Revolution gewartet hatte. Alles, von Eisenbahnschienen bis zu Ozeandampfern und Brücken, konnte man jetzt schneller, stärker und billiger produzieren. Wolkenkratzer wurden möglich, Stadtlandschaften veränderten sich. Lokomotiven wurden so robust, dass sie mächtige Ladungen in hohem Tempo über Kontinente ziehen konnten. Bessemer wurde ungeheuer reich und berühmt, und viele (laut einer Quelle, dreizehn) Städte in den Vereinigten Staaten nannten sich zu seinen Ehren Bessemer oder Bessemer City.
Weniger als ein Jahrzehnt nach der Großen Londoner Industrieausstellung 1851 war Eisen als Baumaterial veraltet — umso seltsamer, dass das Riesenbauwerk, das sich
Weitere Kostenlose Bücher