Eine kurze Geschichte der alltäglichen Dinge
heftig nachempfunden dem berühmten Château de Blois, ist ein weiträumiger, glorios überkandidelter Kasten aus Kalkstein, besitzt 250 Räume, eine 238 Meter lange Fassade und eine Grundfläche von gut 20 000 Quadratmetern. Für seinen Bau beschäftigte Vanderbilt eintausend Arbeiter zu einem durchschnittlichen Tageslohn von 90 Cent.
Er stellte Biltmore voll mit dem Feinsten von allem, was ihm die Europäer verscherbelten — was Ende der 1880er Jahre fast alles umfasste: Tapisserien, Möbel, klassische Kunstwerke. Das Ausmaß der Residenz erinnert an die manischen Exzesse von William Beckford bei der Fonthill Abbey, ja übertrifft sie noch in wesentlichen Punkten. Am Esszimmertisch fanden sechsundsiebzig Leute Platz. Die Decke war fast 23 Meter hoch. Es muss gewesen sein, als lebe man in der Halle eines größeren Hauptbahnhofs.
Für die Gartenanlagen engagierte Vanderbilt den alternden Frederick Law Olmsted, der den Central Park in New York entworfen hatte. Der überredete ihn, einen Großteil des Anwesens zum Experimentieren mit Aufforstungsprojekten zur Verfügung zu stellen. Der Landwirtschaftsminister J. Sterling Morton rieb sich die Augen, als er hörte, dass Vanderbilt für seinen einen Wald mehr Männer beschäftigte und ein größeres Budget hatte als er, der Minister, für ein ganzes Ministerium. Auf dem Anwesen gab es dreihundert Kilometer Straße. Außerdem eine richtige kleine Stadt mit Schulen, Krankenhaus, Kirchen, Bahnhof, Banken und Läden für die zweitausend Angestellten und ihre Familien. Ihnen ging es durchaus gut, auch wenn sie in halbfeudalen Verhältnissen lebten und vielfach reglementiert wurden. Zum Beispiel durften sie keine Hunde halten. Damit das Gut wirtschaftlich wurde, ließ Vanderbilt in seinen Wäldern Bauholz schlagen und auf den vielen Farmen Obst, Gemüse, Milchprodukte und Eier produzieren sowie Geflügel und Vieh halten. Auch Holz und landwirtschaftliche Produkte ließ er weiterverarbeiten.
Er wollte mit seiner Mutter ein paar Monate im Jahr dort leben, aber als sie kurz nach der Fertigstellung Biltmores starb, lebte er dort in unendlicher Einsamkeit allein, bis er 1898 Edith Stuyvesant Dresser heiratete, mit der er ein Kind zustande brachte, Cornelia. In der Zeit zeichnete sich indes schon ab, dass der Unterhalt des Guts auf Dauer viel zu teuer werden würde. Die jährlichen Verluste beliefen sich auf eine viertel Million Dollar ; und George musste den Betrieb aus seinem schwindenden Kapitalvermögen am Laufen halten. Als er 1914 plötzlich starb, verkauften seine Frau und seine Tochter so viel von dem Gut, wie sie konnten, so schnell, wie sie konnten, und wurden nie wieder dort gesehen.
II.
An dieser Stelle sollten wir einen Moment überlegen, wo wir sind und warum. Wir sind im Flur. Es ist der am wenigsten behagliche und düsterste Ort im alten Pfarrhaus, denn er hat keine Fenster und muss sich mit dem Licht bescheiden, das durch die offenen Türen der davon abgehenden Zimmer kommt. Etwa halb durch den Gang ist eine Tür, die man schließen konnte — und die früher auch zweifellos geschlossen wurde —, um den Arbeitsbereich von dem privaten zu trennen. Kurz dahinter, neben dem hinteren Treppenaufgang ist eine Nische in der Wand, die nicht dort gewesen sein kann, als das Haus gebaut wurde, denn sie ist eindeutig für etwas da, das es 1851 noch nicht gab, das aber etwas wahrlich Revolutionäres war. Wegen dieser Nische sind wir hier.
Wenn Sie sich schon vor ein paar Seiten gefragt haben, was der unendliche Reichtum der Amerikaner im Gilded Age mit dem Flur im Erdgeschoss eines englischen Wohnhauses zu tun hat die Antwort lautet: mehr als Sie denken. Denn von nun an sollte das moderne Leben zunehmend von den Vereinigten Staaten bestimmt werden, von den Erfindungen, Interessen und Vorlieben jenseits des Atlantiks. Die Europäer waren einigermaßen bestürzt, aber auch fasziniert, weil die Amerikaner Dinge auf absolut neuartige, nie da gewesene Weise taten.
Zum einen begeisterten sie sich derart für die Idee des Fortschritts, dass sie Sachen erfanden, selbst wenn sie gar nicht wussten, ob sie nützlich waren oder nicht. An vorderster Front dabei: Thomas Edison. Niemand war besser darin (oder schlimmer — je nachdem, wie man es betrachtet), Dinge zu ersinnen, die weder einem erkennbaren Zweck dienten noch ein Bedürfnis befriedigten. Insgesamt war er natürlich ungeheuer erfolgreich, und vieles von dem, was er anstieß, erbrachte viel, viel Geld. Man schätzt, dass
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