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Eine kurze Geschichte der alltäglichen Dinge

Titel: Eine kurze Geschichte der alltäglichen Dinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bryson
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einmal gesehen hat.
    In gewisser Weise stimmt das auch. Denn diese Gebäude sind die Prototypen, denen andere wichtige Bauten überall in der westlichen Welt nachempfunden sind: der Louvre, das Weiße Haus und die National Gallery of Art in Washington, der Buckinghampalast, die Public Library in NewYork und unzählige Banken, Polizeiwachen, Gerichtsgebäude, Kirchen, Museen, Krankenhäuser, Schulen, Herrenhäuser und bescheidenere Heime. Der Palazzo Barbarano und die Villa Piovene haben mit der NewYorker Börse, der Bank von England, dem Berliner Reichstag und vielen anderen eindeutig eine gemeinsame bauliche DNA. Die Villa Capra an einem Berghang am Rand von Vancimuglio erinnert an hundert Kuppelbauten, von Vanbrughs Tempel der vier Winde im Castle Howard bis zum Jefferson Memorial in Washington, D.C. Und die Villa Chiericati mit ihrem eindrucksvollen Portico mit dem dreieckigen Giebel und den vier schweren Säulen sieht nicht nur wie das Weiße Haus aus, nein, sie ist das Weiße Haus, komisch versetzt auf ein bewirtschaftetes Gehöft.
    Für all diese architektonischen Prototypen verantwortlich war ein Steinmetz namens Andrea Pietro della Gondola, der im Alter von nicht einmal sechzehn Jahren 1524 aus seiner Heimatstadt Padua nach Vicenza kam. Dort freundete er sich mit einem wichtigen Adligen an, Giangiorgio Trissino. Ohne diese glückliche Bekanntschaft hätte der Jüngling sehr wahrscheinlich sein Leben als ständig staubbedeckter Steinhauer verbracht und seine genialen Fähigkeiten nie ausgeschöpft. Zum Glück für die Nachwelt erkannte Trissino in Andrea jedoch ein Talent, das es zu fördern galt. Er nahm ihn in sein Haus auf, ließ ihn in Mathematik und Geometrie ausbilden, ging mit ihm nach Rom, wo er die schönsten Bauten der Antike sehen konnte, und bot ihm alle Privilegien, damit aus ihm wahrhaftig der größte, selbstbewussteste, einflussreichste Architekt seiner Zeit werden konnte. Und dabei gab er ihm auch noch den Namen, unter dem wir ihn heute alle kennen: Palladio, nach Pallas Athene, der Göttin der Weisheit im alten Griechenland. (Die Beziehung zwischen den beiden Männern, meine ich merkwürdigerweise erwähnen zu müssen, war offenbar vollkommen platonisch. Trissino war ein notorischer Frauenheld und sein junger Steinmetz glücklich verheiratet und auf dem Weg, Vater von fünf Kindern zu werden. Trissino mochte Palladio einfach sehr. Offenbar ging das allen Leuten so.)
    Auf diese Weise wurde Palladio also — ungewöhnlich für jemanden seiner Herkunft — Architekt. Damals begannen Architekten ihre Laufbahn als Künstler, nicht Handwerker. Doch Palladio malte weder, noch bildhauerte oder zeichnete er. Er entwarf Gebäude. Auf Grund seiner praktischen Ausbildung als Steinmetz hatte er allerdings einen unschätzbaren Vorteil, nämlich ein gründliches Verständnis für das Bauen mit Stein oder, wie Witold Rybczynski es ausdrückt, für das Wie eines Gebäudes ebenso wie für das Was.
    Palladio ist ein typischer Fall von richtigem Talent am richtigen Ort zur richtigen Zeit. Nachdem durch Vasco da Gamas heroische Reise nach Indien ein Vierteljahrhundert zuvor Venedigs Monopol über den europäischen Gewürzhandel gebrochen und seine Dominanz untergraben worden war, wanderte der Reichtum der Region nun landeinwärts. Plötzlich gab es eine neue Spezies von Landbesitzern, die ihren Wohlstand auch in ihren Häusern zeigen wollten, und Palladio wusste genau, wie man das anstellte. Überall in Vicenza und Umgebung baute er die vollkommensten, schönsten Häuser, die je gesehen worden waren. Seine besondere Genialität lag darin, dass er Villen entwarf, die den klassischen Idealen treu waren, aber nicht so starr wirkten wie die strengen Bauten, denen sie nachempfunden waren. Im Gegenteil, sie waren betörend einladend und viel komfortabler. Den klassischen Idealen wurde neues Leben eingehaucht, und die Welt liebte es.
    Viel entwarf Palladio eigentlich gar nicht: ein paar Palazzi, vier Kirchen, ein Kloster, eine Basilika, zwei Brücken und dreißigVillen, von denen heute aber nur noch siebzehn stehen. Von den übrigen dreizehn wurden vier nie beendet, sieben zerstört, eine nie gebaut und eine aus unerfindlichen Gründen nie gefunden. Sie heißt Villa Ragona, und wenn sie doch existierte, so blieb sie verschwunden.
    Palladios Bauweise basierte auf strenger Einhaltung von Regeln, und zwar nach den Prinzipien des Vitruv, eines römischen Architekten des ersten nachchristlichen Jahrhunderts. Vitruv war kein

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